Der deutsche Jungfilm findet auf seine alten Tage den Anschluss an die Vergangenheit; Werner Herzog an Leni Riefenstahl. 'Cobra Verde' – ein Film von deutscher Herrenart
Die pure Willenskraft, die aus Kinskis blauen Augen blitzt, bändigt den aufsässigen Negersklaven, der sich der öffentlichen Auspeitschung entziehen möchte. Gehorsam wendet der Delinquent sich um, und nun kann die Strafprozedur ohne weitere Widerstandshandlung vollzogen werden. – Cobra Verde, der zufällig des Wegs gekommen war, hat Partei ergriffen: gegen den Wehrlosen und Entrechteten und für den Ausbeuter und Plantagenbesitzer. Das war in hohem Grade zweckmäßig. Prompt wird Cobra Verde belohnt: mit dem Job eines Sklavenaufsehers, denn ein Herrenmensch erkennt den anderen. Und da Cobra Verde gar nicht Cobra Verde ist, sondern niemand anders als der Klaus Kinski, der hinwiederum nichts anderes darstellen kann denn sich selbst, ruht den lieben langen Film hindurch der Herrenmenschen-Blick auf der damals so hoch im Kurs stehenden Menschenware. Damit es gleich von Anfang an klar ist, hat Regisseur Werner Herzog dem Augenpaar des weißen Mannes eine Nahaufnahme gegönnt. Die Neger kommen dagegen als Masse ins Bild, – als messbare Größe. Dafür braucht man Totalen, und dann: antreten und abzählen. Jawollja, melde gehorsamst, 750 Amazonen stehen bereit.
Das gibt die allerschönste Appellästhetik: Massenornamente der dekorativen Art. Sehr flächig windet sich eine Negerkette durch den ghanaischen Busch, der Kamera scheint die Schärfentiefe verlorengegangen zu sein. Aus allzu sicherer Distanz holt der Zoom sich einen Ausschnitt – und vermittelt die Gewissheit, dass Masse Masse bleibt, und dass man den Schwarzen nicht zu nahekommt. Keiner braucht Angst zu haben, dass er sich die Finger schmutzig machen muss. Vielleicht färben sie ja doch ab, die Eingeborenen. Die Total-Einstellungen also halten die fremde Rasse auf Distanz, grade dadurch wird sie als Gattung, Ware, Menschenmaterial kalkulierbar und beherrschbar – sowohl ökonomisch wie ästhetisch.
750 Neger aneinandergekettet? Die Ware kommt aufs nächste Schiff. 750 Negerinnen militärisch ausgebildet? Die Amazoneneinheit kommt zum Einsatz. 750 StatistInnen vor der Kamera? Herzog macht damit ästhetisch mobil. Von der Bodybuilding-Show bis zur Leistungsschau der Kampfsportgruppen werden immer und immer wieder Massenrituale zelebriert. Neger auf dem Marsch zur Verladerampe: eine Freude, das zu sehen; die prächtigen Leiber sind mit Öl eingerieben oder mindestens mit Wasser bestäubt, die Muskeln schwellen, mein Gott was für bodies. Und die Brüste der Amazonen! Da langt die Kamera kräftig hin und mag gar nicht mehr loslassen. Jei, so haben sich Opa und Uropa früher die Fotos aus dem Urwald angeguckt, weils dann erlaubt war, sich ganz offen, studienhalber und ästhetischerweise, dran aufzugeilen.
Herrenmenschen und Alte-Herren-Witze. Kinski, 60 Jahre alt, greift sich während der Aufnahmen ein Negerweib, hält es von hinten an den Ellbogen und schiebt es dem Standfotografen zu, Brust raus, mein Kind, ist das ein Souvenirfoto! Die Szene fehlt leider im Film, wurde aber in einem flankierenden Begleit- und Publicity-Film zu 'Cobra Verde' neulich im Fernsehen gesendet. Hat da der Kinski eine Freude dran, sträubt sie sich doch, die Wilde! Also den Griff noch fester, oder lieber doch die nächste. Also sehen wir den Zugriff des deutschen Stars noch mal. Wehe wird das Foto nichts. Kinski guckt drohend ins Objektiv.
Herzog brauchte durchaus Gewalt, um sein Massenszenario bewältigen zu können, zum Beispiel 'acht Karateleute, um die Afrikanerinnen ein bisschen im Zaun zu halten'. Und: 'Wir mus'ten auf die Frauen einschlagen, um den Druck abzuschwächen'. Abenteuerlich, echt. Der Begleitfilm (Steff Grubers 'Herzog in Afrika') ist der wahre, der bessere. – In 'Cobra Verde' sieht das anders aus. Da lassen sich die Amazonen den Söldner Kinski gefallen, wie er brüllend, schreiend und schnauzend mit ihnen exerziert. Yeah! 'I wanna be your drill instructor!' Denn zur Mobilmachungsästhetik gehört es, dass individuelle Gewalt nicht geschieht. Der Film ist auf dem Stand der Masseneuphorien von 1914. Oder 1934. 'Die Massenszenarien auf den Appellplätzen des Dritten Reichs sind regelrecht zum politischen Markenzeichen des deutschen Faschismus als Ästhetisierung von Politik geworden', schreibt Martin Loiperdinger in seinem neuen Buch 'Rituale der Mobilmachung' über den Parteitagsfilm 'Triumph des Willens' von Leni Riefenstahl. Es empfiehlt sich, das Buch (erschienen bei Leske + Budrich in Leverkusen) wegen seiner unvermuteten Aktualität zu lesen. Die politische Kulturforschung bringt es an den Tag, dass Filme wie 'Cobra Verde' in einer ganz anderen Tradition stehen, als bisher gemutmaßt. War man bisher davon ausgegangen, dass unsere fortschrittlichen Filmemacher daran arbeiten, über die Lücke, die der Faschismus gerissen hat, zurück den Anschluss an die ästhetischen Errungenschaften der Weimarer Zeit zu gewinnen, so entdecken wir heute mit Bestürzung, dass unsere guten Freunde dabei sind, ästhetisches Kapital aus der Lücken-Zeit zu schlagen.
Lieber Werner Herzog, Du hast – eine Generation danach – den 'Triumph des Willens II' gemacht. Die Riefenstahl wird möglicherweise damit nicht einverstanden sein, denn in wessen Vollmacht vertreibt Herzog seinen Film, da sie doch 1934 für den Reichsparteitagsfilm als Sonderbevollmächtigte der Reichsleitung der NSDAP eingesetzt gewesen war. Außerdem wird es immer schwieriger, 'Triumph des Willens I' zu sehen, weil sie als notorische Prozessgretel missliebige Aufführungen verhindert. So zuletzt im Münchner Filmmuseum. Dort brachte sie damit auch einen Vortrag von Martin Loiperdinger zu Fall. Sie sollte sich ihre juristischen Strategien jedoch noch einmal überlegen. Denn Objekt der aktuellen Kulturforschung ist sie nur einerseits. Auf der anderen Seite ist sie offenbar zur Traditionsfigur des Jungen Deutschen Films aufgestiegen. Endlich. Und wir müssen uns neu besinnen, wer Freund ist und wer Feind.
Herzog, der sich die Sache der Außenseiter, der Entrechteten und Ausgebeuteten zu seiner gemacht hatte – zuletzt die Sache der Aborigines in 'Wo die grünen Ameisen träumen', – er gibt in 'Cobra Verde' Parolen aus wie: 'Sklaverei ist eine Eigenschaft des menschlichen Herzens', und damit stellt sich die bange Frage, was eigentlich Gegenstand seines ersten, bald zwanzig Jahre alten, von kaum einem gesehenen Dokumentarfilms 'Die fliegenden Ärzte von Ostafrika' gewesen sein mag.
Das 1987 nach Westafrika eingeflogene Filmteam hat es sich jedenfalls zur Aufgabe gemacht, den Negern beizubringen, was faschistische Ordnung ist, bzw. den Amazonen die Hammelbeine geradezuziehen: Wieder geht es um den Kult, um die Zeremonien und Rituale einer Privatarmee. Waren es auf dem Parteitag 1934 SA und SS, so marschiert 1987 die paramilitärische Truppe des Söldners Kinski auf: die 750 Frau starke Einheit der Amazonen. Ebenso wie bei der Riefenstahl ist Aufstellung, Linie, Dekor und Ornament Inhalt der ästhetischen Veranstaltung. Die Geschichte von Cobra Verde ist ganz in den Hintergrund getreten. Der dramatische Ablauf ist ebenso versiegt wie die Logik eines Gedankens. Es gibt nichts nachzuvollziehen, das die Freiheit von Zustimmung oder Ablehnung ließe. Es gibt nur noch affirmative Meditation und harmonische Einbindung in eine Gemeinschaft, die keine Gegensätze kennt, kein Wenn und kein Aber.
Ich weiß es, alle Vergleiche hinken, also auch dieser. Zum Beispiel hört man keine Marschmusik, sondern Popol Vuh, heutzutage eindeutig stabilisierender. Vor allem aber ist am Riefenstahl-Vergleich falsch, dass er die entscheidende Weiterentwicklung durch den Herzog-Film unterschlägt. Denn während im 'Triumph des Willens I' die Aufmarschrituale Selbstdarstellungsszenario und Eigenstilisierung waren, ist die Amazonenästhetik in 'Cobra Verde' Ideologieimport aus Herzogs Heimat. Und harte Arbeit war es, den Negern zu sagen, wo’s lang geht. Gisela Storch musste sich die Kostüme einfallen lassen, und ein Italiener namens Benito mußte die Negerinnen angeblich monatelang drillen. Das entsprach mitnichten den Bedürfnissen der Betroffenen.
Im Fernsehfilm über die Dreharbeit erfahren wir, daß es 50 Grad heiß war und den Komparsen der Sinn des Films verborgen geblieben war. Sie spielten für die Europäer. Für Geld. Und mussten das mit gewerkschaftlichen Mitteln erstreiken. – Umso infamer ist die Ausbeutung dieser Menschen durch den Film. Mit Kinskis Euro-Blick gesehen, erscheinen sie ebenso herabgewürdigt und verkrüppelt, wie die wahren Krüppel, die in Herzogs Film wie die Tiere herumlaufen, aus sicherer Distanz verfolgt von der Zoom-Kamera. Sich seinen Spaß machen mit Gesinde, Pack und Bettel: Herrenart.
Dieser Text erschien zuerst in Konkret 01/1988