Ein Spielfilm, der lückenlos und chronologisch den Lebenslauf von Carlos, dem legendären Terroristen-mit-der-Sonnenbrille, abspult, bräuchte mindestens fünfeinhalb Stunden, und auch dann noch ist Eile geboten. „Carlos – Der Schakal“ braucht diese fünfeinhalb Stunden. Als Dreiteiler hat ihn vor einem halben Jahr canal+ gesendet; arte Frankreich ist an der Produktion beteiligt.
Und nun zu Sachsen-Anhalt. Die dortige Investitionsbank hat den 13-Millionen-Film zu einem großen Teil finanziert. Weswegen das Innere des Wiener OPEC-Gebäudes in HALLEMesse aufwändig wieder aufgebaut werden konnte. In Halle also sehen wir die Ölminister versammelt, die von Carlos entführt werden. Die Stadt an der Saale nimmt im Reigen der internationalen Großstädte einen Hauptplatz in diesem Film ein.
Und jetzt, gänzlich ironiefrei, ein Wort zum Film. Nach etwa einer Stunde ist klar, wie er läuft. Fakten, Fakten, Fakten. Abhaken, abhaken, abhaken. Und ab und zu beglaubigen durch eingeschaltete Dokumentaraufnahmen; es war seinerzeit genug übers Fernsehen zu sehen. So weit, so gut. Gut zum Beispiel, dass die vielen Rollen nicht mit den üblichen Verdächtigen besetzt wurden. Gut das gedeckte Licht der Kamera, anti-TV-Spiel vom Feinsten. Immer an der Oberfläche die viel gerühmte Montagetechnik. Weniger gut allerdings die aufdringliche Musik, rockartig, die die action anheizen soll. Und schlimm die durch keine Dokumente belegten Spielfilmsequenzen, die das Drehbuch sich ausgedacht hat. Gewalttäter Carlos weiß in der Beziehung zu Frauen auch nur Gewalt anzuwenden. Vorauszusehen, dass am Ende Carlos den Terror zu seinem Geschäft macht, Businessman auch er, erfolgreicher Auftragskiller.
Der Film wird, wie gesagt, nach sechzig Minuten vorhersehbar. Der wahre Carlos, der seit Mitte der neunziger Jahre lebenslang in Frankreich einsitzt, hat versucht, mit dem Filmregisseur ins Gespräch zu kommen. Vergebens. Regisseur Assayas („Ende August, Anfang September“) beruft sich auf seine eigene Deutungshoheit. Ist wohl okay, aber vielleicht sollten Interessierte eins der ausgewählten Kinos ins Auge fassen, die die Kurzfassung des Films zeigen werden. Dann ist „Carlos – Der Schakal“ nur noch gut drei Stunden lang, „Carlos – Das Ereignis“ (Die Welt), „atemberaubendes Epos“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), hechel, nach Luft ring …
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 11/2010