Judenhatz in Kasachstan. Eine Reportage des kasachstanischen Fernsehens. Die kyrillischen Texte sind untertitelt. Der Jude, und er sieht so aus, wie alle Antisemiten wissen, dass ein Jude aussieht, – der Jude also, gradewegs einer Stürmerkarikatur entsprungen, wird von einer Meute Kinder und Jugendlicher durch die Stadt gejagt – ganz wie der Stier in Pamplona. „Fast hätte er mein Geld geschnappt!“. Der Jude hockt sich hin. Legt er ein Ei? „Zerschlagt das Judenei, bevor das Kücken kommt!“
Das Staatsfernsehen Kasachstans schickt einen Reporter in die USA, von den Segnungen der Zivilisation zu berichten: Borat. Wir kennen ihn hier als Ali G (Sacha Baron Cohen), den Paki-Underdog und Hip-Hop-Moderator in einer englisch-amerikanischen Kultshow (Channel 4, HBO, MTV, Viva). – In Borats Reportage werden nun der Reihe nach Vorurteile getoppt und lächerlich gemacht. Schön, die Exposition ist fiktiv. Die Reise durch die USA aber wird zum Dokument. Borat lässt sich in Mitten der amerikanischen Gesellschaft filmen, ihm wird seine kasachstanische Rolle abgenommen. Wir finden uns in der Realität wieder, und das ist die ungeheure Wirkung des Films, dass mit klitzekleinen Vorgaben und ohne jede Anstrengung hervorgekitzelt wird, was die Leute sonst nie zu sagen wagen. „Borat“, der Film, glückt als soziales Experiment und als böse Vorschau auf das, was abrufbar ist, wenn es einer abrufen wollte. Und gleichzeitig ist es urkomisch, was der Film ans Licht des Tages bringt, von einem Fettnapf in den anderen tretend, geschmacklos, Tabus missachtend. Auwei, und ich hab auch gelacht, in Hamburg, mitten in der Sondervorstellung für das hier in Dulsberg Süd beheimatete Europäische Zentrum für Antiziganismusforschung, das bereits 8 Tage vor der Besichtigung Strafanzeige gegen den „Brandanschlag auf die Demokratie und auf Art. 1 GG“ erstattet hatte.
„Wenn diese Auto fährt in eine Gruppe von Zigeuner: Gibt es Schaden an Auto?“, fragt Borat, der falsche Autokäufer, an der US-Ostküste einen echten Verkäufer, der sich, nichts böse ahnend, filmen lässt. „Kommt drauf an, wie heftig Sie sie treffen“. – „Heftig!“ – „Die Windschutzscheibe könnte hin sein“. Mehr nicht, dann wird der Kauf perfekt. – Was hier für die Demokratie gefährlich ist, ist die sehr reale Mentalität der Minderheitenverachtung, die vom Film „Borat“ an den Pranger gestellt wird. Man muss den Film gesehen haben, um sich ein konkretes und reales Bild vom Gewaltpotential zu machen – mitten in der bürgerlichen Mehrheit. Komödiant Borat spielt den naiven Reporter, frauenfeindlich, rassistisch, schwulenfeindlich, Islamisten hassend. Keine Provokation, sondern Attraktion für die nun nicht mehr schweigende Mehrheit. Im Waffenladen: „Welche Pistole ist am besten geeignet, sich gegen Juden zu verteidigen?“. „Die 9-mm!“. – Beim – echten – Rodeo in Salem, Virginia, bekommt der vorgebliche Kasache das Mikrofon und erklärt sich mit den Truppen solidarisch. „Ich hoffe, ihr tötet jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak, bis zur letzten Eidechse!“ Jubel im Stadion. „Möge George W. Bush das Blut jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes im Irak trinken!“ Der Jubel wird schwächer. Etwas toppen, bringt Zweifel und evtl. Erkenntnis.
„Borat“ ist urkomisch, gewitzt und eine wunderbare Waffe auch für die hamburger Antiziganismusforscher. Sicher wäre es ratsam, ein Fünkchen Verständnis für so etwas wie jüdischen Humor zu haben. Gegen die Jugendfreigabe des Films in Deutschland durch die FSK war vom Zentralrat der Juden in Deutschland nichts einzuwenden. Regisseur Sacha Baron Cohen, walisisch-iranisch-jüdischer Abstammung, muss sich in den USA lediglich vorwerfen lassen, mit seiner Satire sexuelle Grenzen überschritten zu haben. Folge: „Rated R“. Dass er alle anderen Grenzen auch überschreitet, macht ihn zur Nummer 1 für das, was unter uns Akademikern Krisenexperiment genannt wird und was wir altmodisch Aufklärung heißen oder mediengerecht gesellschaftskritische Comedy. Ist es zum Lachen? Es ist zum Lachen.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 12/2006