Am Anfang sehen wir die Detailaufnahme eines Auges. Das Zwinkern der Augenlider ist unterlegt mit den Blitzgeräuschen einer Kamera. Im Gegenschuss sehen wir das Auge der Kamera selbst, das die Bilder eines geschundenen, fast leblosen Körpers erfasst. Ein Täter dokumentiert sein Werk und frönt gleichermaßen seiner Passion: Er fragmentiert und entindividualisiert sein mit den Händen an der Decke gefesseltes Opfer, bevor er es schließlich erschlägt. Schuss, Gegenschuss. Körper, Extremitäten. Schnitt zur subjektiven Kamera: Beobachten und Beobachtetwerden.
In diesen ersten drei Minuten ist der tötende Blick bereits zu unserem geworden – möchte man glauben. Aber es ist der Blick eines, neben uns, weiteren Beobachters: Der Folterer ist Klaus, ein ehemaliger KZ-Arzt, der bei den einstigen Experimenten an Kindern seine sexuellen Obsessionen entdeckte und nun, im spanischen Exil, diese Leidenschaft weiter verfolgt. Der Beobachter ist Angelo, ein junger Mann, der Klaus’ Taten fortsetzen wird, weil er zu Klaus’ misshandelten Opfern zählt. Doch davon werden wir erst später erfahren. Klaus begibt sich nach vollbrachtem Mord auf das Dach des verfallenen Gebäudes und springt in die Tiefe. Der Beobachter findet derweil am Tatort ein mit Dokumenten und Notizen gefülltes Tagebuch.
Der einsetzende Vorspann ist mit Fotografien von Kindern aus Konzentrationslagern unterlegt, und eine Stimme singt mit spanischem Akzent Schubert. Es ist famos, in welcher Dichte Agustí Villaronga hier bereits die Zentralmotive der Erzählung hervorhebt: das Faszinosum des tötenden Blicks, die Grenzüberschreitung und Vergewisserung der eigenen Souveränität in der Passion, die kühle Ästhetisierung des Unansehnlichen. Diese Exposition zu Villarongas verfemtem Debüt, das das kleine Qualitätslabel Bildstörung jetzt endlich in einer deutsch untertitelten und opulent ausgestatten Edition zugänglich gemacht hat, ist so schön und abweisend zugleich, dass der Zuschauer zunächst bestenfalls irritiert auf das Geschehen reagiert. Die Absenz von Erklärungen zwingt ihn dazu.
Ein misslingender Suizidversuch endet für Klaus mit einer Querschnittslähmung und im Korpus einer eisernen Lunge. Der Film wird zum Kammerspiel. Angelo verschafft sich Zutritt zum Herrenhaus und zwingt Klaus, fortan seine Dienste als Krankenpfleger in Anspruch zu nehmen. Schleichend übernimmt er nun das Kommando über das Haus und die Familie, labt sich obsessiv am Körper des wehrlosen Behinderten, liest ihm nachts aus dessen Notizbuch vor (eine unangenehme Fiktionsfalle: Der Inhalt besteht aus echten Beschreibungen ehemaliger KZ-Schlächter) und masturbiert auf dessen Gesicht. Die Form dieser Übergriffe korrespondiert mit den verlesenen Folterschilderungen. Nachdem er Klaus’ Frau Griselda umgebracht und dessen Tochter auf seine Seite gezogen hat, folgt der nächste Schritt dieses – daran besteht auch plotimmanent kein Zweifel mehr – destruktiven Versuchs, das Trauma zu durchleben und aufzuarbeiten: Angelo ermächtigt sich zum fortgesetzten Arm seines unfreiwilligen Mentors, entführt zwei Jungen aus dem angrenzenden Dorf und tötet sie in Klaus’ Gegenwart, indem er ihnen die Kehle durchschneidet oder eine Benzinspritze ins Herz injiziert. Im finalen Schritt wird er sich auch physisch an Klaus’ Stelle setzen.
Bereits bei seiner internationalen Premiere auf der Berlinale 1986 war »Im Glaskäfig« ein ausgemachtes Skandalon: Noch vor seiner Vorführung wurde der Film beschlagnahmt, dann im kleineren Kreise ausgestrahlt, um wieder eingezogen zu werden. Erst durch die Hilfe der spanischen Botschaft konnte das Team wieder in den Besitz des Materials gelangen. Anscheinend glaubte man, in den fast akkurat kunstvoll arrangierten Bildern ein exploitatives Element ausfindig gemacht zu haben. Auch in Australien wurde ein Verbot aufgrund der homosexuellen Darstellungen ausgesprochen.
Tatsächlich steht der nationalsozialistische Bezug keinesfalls im Mittelpunkt des Films, er bietet einen figurspezifischen Hintergrund für eine furchtbare Geschichte der Grenzüberschreitung: Böses generiert Böses, und aus dieser Konstellation entspringt denn auch der abweisende Charakter von »Im Glaskäfig«. Da bloß rudimentär psychologisiert wird, bleibt das Handeln der Figuren ohne ersichtliches Motiv, zumindest ohne eins, das diesen abgründigen Kreislauf zu durchbrechen strebt: Am Ende wird Klaus’ Tochter Angelos Rolle annehmen, dessen Transformation erst dann vollzogen ist, nachdem er Klaus ersetzt hat. Griselda hingegen unterbricht zuvor einmal willentlich die Stromzufuhr zum Glaskäfig, kann sich aber doch nicht zum Mord durchringen (in diesem Augenblick wird das monotone Pumpen der eisernen Lunge auf der Tonspur von lautem Vogelgezwitscher abgelöst – der Idylle der Außenwelt, die in diesem hermetischen, von dunklen Blautönen bestimmten Kosmos sonst nur noch als verlorenes Zeichen, als Wandmalerei, existiert).
Indes scheint hier nicht einzig rüder Nihilismus durch. Vielmehr ist es die Destruktivität der bösen Tat, die unweigerlich ihren Nachhall erzeugt, der Blick in das Auge des Opfers, der sich eben auch verkehren kann. Die Erwartungshaltung des Publikums ist offensichtlich: Ein biographisch derart ausgestatteter Charakter kann unmöglich seinem potentiellen Schlächter nacheifern. Oder anders gesagt: Das Urteil, das dem traumatisierten Opfer seine Unschuld abspricht, ist nur zu haben auf Kosten der Schuld des Täters. Dabei gibt sich Villaronga mit jeder Sequenz redlich Mühe, dieses schreckliche Prozedere als grausame Konsequenz des Traumas zu inszenieren. Dass er sich hierzu des Horrorfilmstils bedient, ihn mit den Mitteln des Kunstkinos vermengt, also auch formal den Bruch mittels einer diesem Sujet unangebrachten Ästhetisierung fortsetzt, zeugt allenfalls vom Talent eines jungen Debütanten – die Skandalisierung seines Meisterwerks aber nur von der Unfähigkeit, den Boten von der Botschaft zu unterscheiden.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 07/2009