In „Manufacturing Dissent' ist der Verweis auf die Produktionsbedingungen des eigenen Werkes evident, denn das Regisseurgespann agiert selbst in der Figur des forschen Journalisten vor, bzw. als Erzählerstimme im Off, hinter der Kamera. Angetreten, um der Medienfigur Michael Moore auf die Schliche zu kommen und seinem selbstkreierten Mythos, altruistische und kämpferische Stimme aller Leidtragenden des kapitalistischen Verwertungssystems zu sein und so widerstandsmobilisierende Impulse zu initiieren, zu destruieren. Zu diesem Zwecke heften sie sich, im Zuge der Produktion von „Fahrenheit 9/11“, während einer amerikaweiten Lese-, Vortrags- und Aufnahmetour an seine Fersen und versuchen durch die direkte Konfrontation den Ungereimtheiten seines (filmischen) Werkes habhaft zu werden. Das Prinzip folgt also dem interaktiven resp. reflexiven Vorgehen: Alle Authentisierungssignale verweisen auf die Echtheit des Materials. Die Kamera läuft heimlich mit, wenn der unwirsche Rausschmiss aus einem Vortrag wegen einer gefälschten Akkreditierung angedroht wird. Dadurch wissen wir, dass sich das Team vor Ort befindet und der ganze Aufwand schließlich der Untermauerung jener These dient, dass Moore die Realität nach eigenem Gusto zurechtbiege und keine Gegenstimmen dulde.
Aber eine These will argumentiert sein, gefilmte Schauplätze allein können sie nicht unterfüttern. Deswegen greifen die Regisseure auf das Mittel zurück, welches sie vermutlich als Moore-Methode identifiziert haben wollen: Parallelmontagen von Behauptung und tatsächlicher Umsetzung, stakkatohafte Einflechtung zahlreicher Medienfunde aus TV und Film, noch unzähligere Interviewköpfe und zu guter Letzt immer wieder die Aufnahme des eigenen Konterfeis, meist nachdenklich bis besorgt in die Kamera blickend.
Auf der einen Seite finden wir also die Versicherung, dass alles Gezeigte sich so, manchmal gar unter erschwerten Bedingungen, und nicht anders zugetragen hat, auf der anderen Seite befindet sich der inszenatorisch ziemlich bescheidene Versuch, aus der Bearbeitung des Materials einen Argumentationsstrang zu flechten. Verstümmelte Kriegsheimkehrer aus dem Irak befürworten hier, obwohl in „Fahrenheit 9/11“ Gegenteiliges behauptet wird, nach wie vor ihren Fronteinsatz und das berüchtigte Gewehr aus „Bowling for Columbine“, welches Moore nach einer Kontoeröffnung direkt am Tresen als Prämie geschenkt bekommt, wird tatsächlich erst nach einer Überprüfung des Vorstrafenregisters in einer viele Meilen weit entfernt ansässigen Filiale ausgehändigt.
Man sieht, Moore verzerrt die Fakten für seine Botschaft, ist an der Integrität seiner Bilder scheinbar nicht interessiert, fiktionalisiert gar an Stellen, in denen nach Dokumentarfilm-Credo allenfalls Dramatisierung von Nöten ist. Ein Lanzenbruch für die Bilder-Skepsis also bei einem Mann, der in seinen Filmen die Geschichte Amerikas als sarkastischen Cartoon im South Park-Stil nacherzählt und, ganz uneigentlich, gleichzeitig die Illustrierung eines naiven Gattungsvertrauens der zwei Regisseure, in dem der Dokumentarfilm tatsächlich noch als Platzhalter der Wirklichkeit gegenüber dem Spielfilm siegreich ist, zumal beide bereits in der Wahl ihrer Interviewpartner nicht mit Sorgfalt glänzen: Da linke Kritiker (und dass hier der Diskurs aus linker Position vorangetrieben werden soll, suggeriert bereits der an Noam Chomskys und Edward S. Hermans Buch „Manufacturing Consent“ angelehnte Titel) der Moore-Methode in den USA scheinbar rar gesät sind, findet sich dann unter denen auch schon mal ein beleidigter Homepage-Betreiber wieder, dessen Qualifikation darin besteht, dass er sich schlicht von Moores gespielter Aufrichtigkeit hintergangen fühlt.
Caine und Melnyk unterliegen hier einem eklatanten Irrtum, denn Moores Weltbild dürfte mit dem der Linken bloß marginal übereinstimmen. Seine Kritik gilt nicht dem Wesen von Institutionen; sein Ruf nach gerechten Arbeitslöhnen für die ungerecht Behandelten tastet das kapitalistische Arbeitsprinzip nicht im Geringsten an; sein Unmut ergießt sich über korrupte Politiker, Gewerkschaftsführer, Medienmogule, Journalisten, Schauspieler, Vorstandsvorsitzende und Lobbyisten, also Funktionäre, die ihren Job genau genommen zu gut erledigen, als dass man es ihnen ungestraft durchgehen ließe. Ihnen ist der Zorn Moores gewiss und dabei betreibt er weiß Gott keine genuin linke Analyse der falschen Verhältnisse, sondern geriert sich vielmehr als emotionaler Moralist mit liberalistischer Attitüde und einem ordentlichen Hang zur Zivilcourage. Dass bei einem Mann, dessen ideologisches Gerüst vor allem die wortgetreue Auslegung der Verfassung darstellt, mit Vokabeln wie Entfremdung, Warenfetischismus und universellem Verblendungszusammenhang nicht sonderlich viel zu holen ist, dürfte auf der Hand liegen.
So beschreibt der Film letztlich eigentlich nicht mehr als den bloßen Umstand, dass populäre Menschen unter Organisationsstress leiden und nicht jedem Interviewer bereitwillig ein Drei-Stunden-Gespräch gewähren bzw. auch nicht fortwährend mit ihren Security-Guards besprechen, wer da gerade eigentlich des Platzes verwiesen wurde („Dabei sagte Michael Moore, dass er Kanadier liebt.“). Wenn Moore sich in seinen Filmen ziemlich unsubtil als hartnäckiger Querulant geriert, beschreiten Caine und Melnyk mit ähnlichen Methoden den umgekehrten Weg: Die angestrebte Destruktion des Images einer Pop-Figur führt zur Konturierung eines maulverdrossenen Nörgler-Paars, das einfach nicht begreifen will, warum es so wenig Aufmerksamkeit von seinem Gegenstand erhält, obgleich es doch mit einem ebenbürtigen Durchhaltewillen aufwartet.