Ihr Regiedebüt „Full Metal Village“ nennt die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho – nicht ohne Ironie – im Untertitel einen Heimatfilm. Mit fast schon ethnographischem Blick portraitiert sie die innere Dynamik des kleinen Dorfes Wacken, wie es sich allmählich auf den alljährlichen Ansturm zehntausender Metalfans zum bereits traditionellen Wacken-Open Air vorbereitet. Dieser kurzfristige Ausnahmezustand ist es, was die Dorfbewohner zusammenführt und den Rekurs zum titelgebenden Heimatfilm vollzieht. Allerdings steht hier nicht der unmittelbare Zusammenprall zweier vermeintlich gegensätzlicher Kulturen im Mittelpunkt. Dafür nehmen die 20 Minuten Festivitätenschilderung deutlich zu wenig Platz ein.
Zunächst bleiben wir lange Zeit allein mit den Bewohnern und ihren ganz alltäglichen Empfindungen, ihren Sorgen und Freuden gleichermaßen. Da wird von einem der ansässigen Bauern die semantische Breite des Rinderbegriffs erläutert und selbstgemolkene Milch unter stoischer Beobachtung auf 40 Grad erhitzt, Teenies trainieren für ihre ersehnten ersten Gehversuche als Model, arbeitslose Bauarbeiter betonen ihre Rolle als vergessene Pioniere des Festivals, rüstige Bauernpärchen bekunden etwas ruppig ihre bereits über 40 Jahre anhaltende Liebe, auch wenn der Mann später eingestehen wird, dass diese Zeit selbstverständlich nur mit „einer Freundin“ zu bewältigen sei. Diese Offenheit mag verblüffen, aber zu diesem Zeitpunkt haben wir schon einiges über die Methode der Regisseurin gelernt.
Einmal, relativ zu Beginn, ist sie vor der Kamera zu sehen, als ihr vom Bauer mit gutmütigem Lächeln der Unterschied zwischen Bullen und Ochsen erklärt wird, was sie nickend mit Nachfragen dankt, die vielleicht nicht ohne Grund etwas zu naiv anmuten. Wer den Untertitel „Ein Heimatfilm von Sung-Hyung Cho“ übersehen hat, darf sich nun jedenfalls nachträglich ihrer offensichtlich asiatischen Herkunft versichern. Denn dezent webt der Film auch einen Diskurs über Xenophobie im beschaulichen Idyll ein, der sich im weiteren Verlauf, nicht vordergründig, aber doch beständig steigert, bis er, die Symbolik ist nicht schwer zu entziffern, am Beginn des Festivals kulminiert. Auch wenn wir Sung-Hyung Cho nicht mehr sehen, ist sie doch präsent: gelegentlich als Off-Stimme, manchmal auch als angesprochene Protagonistin: „Kennt ihr das gar nicht?“ und “Bei uns sagt man dazu …“. Eine kleine Differenz zwischen ihr und wir ist bereits markiert. Später wird sich der arbeitslose Bauarbeiter über die billigen polnischen Arbeitskräfte echauffieren, Oma Irmchen en detail vom Schicksal Vertreibung sprechen, kurz darauf gar, wenn die Festivaltage gekommen sind, erneut die Flucht zur weit entfernt lebenden Freundin antreten, weil ihr die Satansanbeter und Friedhofschänder zu großes Unbehagen bereiten, während ihre Enkelin begeistert Geschichtsbücher zum Nationalsozialismus durchblättert, die in ihrer reißerischen Aufmachung sicher nicht der Schulbibliothek entliehen sind. Als kuriosen Höhepunkt könnte man dann ihre Aussage bezeichnen, beseelt von der Hoffnung, das Schicksal der Ostpreußen und iher Oma auch „richtig“ zu verstehen, dass ihr größter Wunsch darin bestände, einmal wenigstens für eine Stunde den Zweiten Weltkrieg mitzuerleben.
Man merkt durchaus, dass Sung-Hyung effektive Mittel gefunden hat, um ihre Figuren zum Sprechen zu bringen. Trotzdem dominiert der versöhnliche Tonfall. Das Dorfleben nimmt seinen Lauf, seine Bewohner wirken schrullig und völlig harmlos und werden mit dezentem Witz in Szene gesetzt, wie auch ihre Tätigkeiten, die sich vornehmlich um Vorbereitungsarbeiten drehen. Die Ruhe vor dem Sturm, die dann vorbei ist, als die Kühe ängstlich die Weide verlassen, wenn auf der Tonspur der Metalsound hereinbricht. Die dramaturgische Zuspitzung ist inszenatorisches Programm, doch ein Eklat bleibt aus. Die betrunkenen Besucher sehen allenfalls düster aus, ihr Gemüt aber ist freundschaftlich. Wenn die dörfische Blaskapelle auf dem Festival zum Tanze bittet, vereinen sich Bewohner und Besucher auf der Tanzfläche, jeder zwar mit seinem eigenen Ritual, aber die Welt scheint zu Gast bei Freunden.
Nun bestechen Gäste insbesondere durch ihre Eigenschaft, früher oder später wieder zu verschwinden. Die Demarkationslinie der gemeinsamen Begegnung ist offensichtlich, wird aber nicht weiter verfolgt: Für die Besucher ist der Festivalbesuch ein rauschdurchsetzter Kurzurlaub, für die Anwohner ein Abwechslung versprechendes Intermezzo, kurz genug, um keine ordnungsdestabilisierenden Erschütterungen zu hinterlassen. Die Präsenz der Regiesseurin zeitigt sich als Spiel mit Angst vor dem Fremden und handfesten Ressentiments, gleichwohl sollen sich all diese Denkstrukturen durch die reale und aktive Begegnung als null und nichtig erweisen. „Die sind gar nicht schlimm. Die sehen nur anders aus.“ Bis zu diesem Punkt bleibt die Kamera dabei. Zu einem „Und sie bleiben ja nicht für immer“ dringt sie nicht vor. Zum Schluss scheint sich das halbe Dorf einzufinden, um gemeinsam die unüberschaubaren Reste des Gelages zu beseitigen, dieselbe Sequenz, mit der der Film eröffnet wurde. Gemeinsam lässt sich das Andere erdulden, scheinen die Bilder zu suggerieren, und der Diskurs über Xenophobie, über die Heimat in der Fremde gerinnt notgedrungenen zum Arrangement mit dem Unvermeidlichen, weil Unabwendbaren und schließlich für wenige Tage Prosperität versprechenden. Die polnischen Arbeitskräfte hingegen werden Störenfriede bleiben, weil sie als imaginierte Konkurrenten den Platz auf dem „eigenen“ Feld beanspruchen. Auch das kann Heimat bedeuten, wovon „Full Metal Village“ dann aber doch, bei aller Herzlichkeit, kein Zeugnis ablegen möchte.