Es gibt einen alten Sketch von den Monthy Pythons, da rennt ein aufgeregter Rekrut zum General und ruft mit wichtig rollenden Augen: „Nein, ich will nicht mehr Soldat werden, denn wussten Sie schon: MAN KANN DABEI GETÖTET WERDEN!“ Ein bisschen kann man diese Überraschung mit jener der bushtreuen Amerikaner vergleichen, die zuerst für den amerikanischen Angriffskrieg auf den Irak waren und sich nun wundern, dass sie seitdem eine stets anwachsende Zahl toter Soldaten zu beklagen haben.
In Neil Youngs (unter dem Pseudonym Bernard Shakey gedrehten) Film „Crosby,Stills, Nash & Young – Déjà Vu“ kommen versehrte und enttäuschte Irak-Veteranen zu Wort, um ihre Söhne trauernde Mütter, sich betrogen fühlende Wähler – und die durch Neil Young wieder belebte Band „Crosby, Stills, Nash & Young“, die sich ihrer politischen Rolle zu Zeiten des Vietnamkrieges rückerinnert und mit den von Young geschriebenen Protestsongs seines Albums „Living With War“ auf die US-amerikanischen Bühnen stieg. Der Film „Déjà Vu“ begleitet die Anti-Kriegs-Tournee vom Norden in den Süden der USA von den „blauen“ in die „gelben“ Staaten, dorthin wo die konservativen Republikaner dominieren, die mit ähnlichem Fanatismus George W. Bushs „war against terror“ bejahen wie sie die Leidenschaft der Lieder des deklarierten amerikanischen Patrioten (der eigentlich gebürtiger Kanadier ist) Young lieben, der nach den Anschlägen des 11. September noch den Einschränkungen der Bürgerrechte mittels des „patriot act“ zugestimmt hatte.
Nun geht eine Schockwelle durchs Publikum in Atlanta, das CSNY mit ein Paar Songs in schönste Country-Rock-Schunkellaune erhoben hat, als Young im gleichen sing-along-Duktus anhebt, man möge den Präsidenten wegen Betrugs unter Amtsanklage stellen. Ein Drittel verlässt mit erhobenen Mittelfingern den Saal, und mit dubiosen Argumenten: „Niemand, der nicht sein Leben für das Vaterland riskiert hat, darf den Krieg kritisieren und: die Regierenden sind doch viel klüger als wir“ (der Sprecher, ein junger Mann, beweist gleichzeitig, was er sagt), angstbestimmt und unreflektiert: „Die muslemischen Terroristen im Irak versuchen, alle freien Amerikaner zu töten“ (dass Al Quaida vor dem Krieg keinen Nährboden im Irak und dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß, wird verdrängt) oder völlig hirnlos und angepasst: „Die Musik von Neil Young lieben wir, aber er ist leider ein bisschen politisch geworden, Sorry.“
Dass schon allein eine eigene politische Meinung einen Bürger disqualifizieren kann, darauf verfallen nur totalitäre Staaten, oder Staaten, in denen das Selberdenken aus der Mode gekommen ist. Aber eben weil das amerikanische Hirn durch Indoktrination obligatorisch unterfordert und das amerikanische Gefühl durch Panikmache permanent überfordert ist, gelingt es CSNY im Jahr 2006 ihr Land da abzuholen, worin es am tiefsten steckt: in einem so irrationalen wie nationalen Zustand der Enttäuschung und Ratlosigkeit, angesichts ansteigender Opfer unter den Soldaten. Wo bisher Paranoia und kindliche Verlassenheitsängste herrschen, bieten CSNY den Menschen nun stimmungsvolle Hymnen zum Mitsingen und Mittanzen an, neue Identifikationsangebote mit ihrer Nation, Lieder von der Hoffnung auf einen starken und entschlossenen neuen „Anführer“, möge er auch „schwarz“ oder eine „Frau“ sein, Lieder, die weniger gegen den Krieg als vielmehr nationalistisch und, wenn man es so übersetzen will, egozentrisch sind. Lieder für Menschen, die nur dann zu Pazifisten werden, wenn sie einen Krieg verlieren.
Auf der emotionalen Schiene erreichen die schönen alten und schlichten und die neuen ein wenig zu eingängigen Protest-Songs Eltern, die in Angst um ihre Töchter und Söhne leben, Vietnamveteranen, die angesichts des Irakkriegs eine Art Déjà Vu ihrer Vergangenheit zu erleben vermeinen und „Hippieveteranen“, auch sie genuin eher emotionale als intellektuelle Wesen, die im Rentenalter noch einmal einen Hauch von Hippienostalgie spüren dürfen. Mit Politik hat all das natürlich herzlich wenig zu tun.
Das Schlimme aber ist, dass es nur so zu funktionieren scheint: Eine Nation, die in der Lage ist, zweimal denselben Präsidenten zu wählen, der nicht nur nachgewiesenermaßen aufgrund einer bewussten Falschaussage Krieg über ein anderes Land gebracht, sondern auch menschenrechtswidrige Haftbedingungen und Foltermethoden eingeführt hat, scheint kaum mehr mit rationalen Argumenten erreichbar zu sein, sondern nur noch über ihr verletztes patriotisches Bauchgefühl. So sehen wir immer wieder weinende, gekränkte und gerührte amerikanische Staatsbürger, allzu oft die amerikanische Flagge und die Ästhetik der amerikanischen Militäreinrichtungen und allzu oft CNN-Bilder mit den unten eingeblendeten Zahlen getöteter amerikanischer Soldaten (Präziser Bodycount: 4113, Stand: 5.Juli 2008). Auf die Zahl der irakischen Kriegsopfer aber wartet man im Film vergebens, sie beruht freilich auch nur auf Schätzungen. Seit Kriegsbeginn im März 2003 sollen zwischen 650 000 und einer Million irakische Zivilisten umgekommen sein.