„Gerade, als du von A- und B-Steuer geredet hast, da hast du mich schon verloren. Mir wird ganz schwarz vor Augen. Ich möchte einfach sterben“, sagt Daniel zum Finanzbeamten mit dem angeklebten Scheitel und dem Pullunder und der muss konstatieren: „Das ist nicht normal.“
Wie schon in seinem Erstlingsfilm „Noí Albinói“ berichtet der isländische Regisseur Dagur Kári wieder einmal parteilich von der Norm, der Anorm und dem Verlierer. Nur macht er in „Dark Horse“ (in Schwarzweiß und schwarz auf weiß) gleich klar, dass der wahre Verlierer das „System“ ist. Nämlich deshalb, weil es Menschen in Kategorien, Bürokratien, Steuerklassen sperren will. Für den jungen Daniel liegt der einzige Weg zum Überleben – und darin ist er ein Bruder von Michel aus „Außer Atem“, von Martin aus „Zur Sache, Schätzchen“ und von Renton aus „Trainspotting“– in der Verweigerung staatsbürgerlicher Pflichterfüllung.
Daniel vereinigt alle Attribute des Außenseiters auf sich: Er ist Individualist, also trägt er immer dasselbe T-Shirt, hat er immer die Kopfhörer auf den Ohren mit dem Bach’schen Präludium in C-Dur in allen Variationen und darum fährt er einen alten, kleinen Fiat 500. (Davon gibt es auf der Erde noch kaum mehr als drei, oder?). Der niedliche Daniel ist nicht dafür geschaffen, Rechnungen zu bezahlen, weil er nicht dafür gemacht ist, Geld zu verdienen. In nahezu jeder Faser seines Seins ist er die Verneinung des Prinzips der Wirtschaftlichkeit. Daniel ist der wahre Bohemién der Postmoderne. Im Unterschied zum kreativen, aber durchschnittlich angepassten Designer der Gegenwart sitzt er (noch) nicht in einem PR-Büro, in dem jeglicher Kunst der letzte freie Geist ausgetrieben wird, sondern schafft er noch Bildwerke, deren Anfertigung strafrechtlich verfolgt wird. Denn Daniel ist ein Sprayer, ein letzter Avantgardist also. Nur weil er sich Brötchen kaufen muss – nicht um Geld zu verdienen! – nimmt Daniel auch Auftragsarbeiten an. Er produziert sogar Werbung, aber Werbung für die Liebe, Brautwerbung nämlich, wenn er die Hauswände vor dem Fenster diverser zukünftiger Bräute im Auftrag ihrer Bräutigame mit ihrem Namen verziert.
Die Kälte des Nordens muss die Wortkargheit erfunden haben. Denn auch der Skandinavier Daniel ist einer jener merkwürdigen „Typen“ mit lakonischem Habitus, ein (hier glücklicherweise nicht zu) liebenswerter Outdrop – die Sorte also, die seit den Kaurismäki-Brüdern immer mehr europäische Filmkomödien unterwandert hat – und natürlich kommt so einer nicht allein. Mit seinem Kumpel, einem verpeilten und neurotischen Fatty-Typ namens „Opa“ (Ende 20), verbindet Daniel eigentlich nur, dass man sich gegenseitig auf einfallsreiche Art behindert und auf die Nerven geht. Subtilisierte Laurel und Hardys sind sie und sie erinnern ein wenig an die unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaften der Nerds aus Kevin Smith’s „Clerks“.
Eigentlich könnte alles weiter seinen nonkonformen Gang gehen, wäre der erotischen Liebe nicht. Und nur jene ist’s, die solid verwucherte Männersymbiosen sprengt, die dem jungen Mann das Herz bricht, ihm den geliebhassten Freund und schließlich auch den Samen entwendet. Ab jenem Augenblick, da Daniel den Namen seiner Herzensdame in eigener Sache (und orthografisch unkorrekt: er ist schließlich Legastheniker) plakatiert, beginnt sein Leben aus dem Ruder zu geraten. Die Liebe nimmt, aber sie gibt auch unendlich viel mehr, manchmal zu viel, um einer Anarchie so ganz treu bleiben zu können. Aus dem autarken Verweigerer wird ein irritierter Träumer – und mit Träumern hat das „System“ ja schon immer leichtes Spiel gehabt.
„Kopf hoch Baby, lehn dich an mich, es wird schon irgendwie geh’n“ sang einst der welterfahrene Frank Farian. In Euphemismen dieser Art und also darin, dass Daniel beginnt, der gesellschaftlichen Keimzelle „Familie“ seine persönliche Zuversicht und seinen persönlichen Tribut zu zollen, schlummert schon das Aufweichen der kreatürlichen und kreativen Kanten unseres Symphatieträgers, die uns doch die ersten zwei Drittel des Films subversive Freude bereitet hatten. Nun treten die Systeme Biologie und Gesellschaft ihren Siegeszug an. Darüber kann kaum hinweg trösten, dass „Dark Horse“ im letzten Drittel sein zuvor etwas überstrapaziertes Witzemachen vergisst und zwei seiner weltflüchtigen Protagonisten statt reden nur noch atmen lässt: in großen, leeren Landschaften und kleinen, leeren Hotelzimmern. Zwei Herren machen einen Abstecher in ein anderes Land und zugleich wechselt auch das Genre: Eine Komödie der Beengten mutiert zum existenziellen Drama, schier zu einem modernen physischen Kino der Gegenwart. Eine ganz andere, fesselndere Verunsicherung entsteht so, die Regisseur Kári aber wohl kaum unter Preisgabe des Plots hätte weiter entwickeln können. Vielleicht driftet deshalb der Film sicherheitshalber scharf vorbei an einer interpretatorischen Offenheit, die weder transzendieren noch nihilisieren will, sondern gegen Ende nur dazu da war, gefährlich konformistische Sehnsüchte zu wecken nach einem Konfektionsglück im Du und Du und Du.
Doppelt traurig ist daher Daniels Abschied von Jugend, Individualität und Anarchie, und folgerichtig todesnäher ist sein Einstieg ins Projekt Menschengeschlecht. Doch wenn dann sechs Fiat 500s die Landstrasse herabtuckern und seine niedliche Francesca für ein paar Sekunden in Farbe erscheinen darf, bleibt dem Kritiker nichts anderes übrig, als einmal rundherum gerührt gewesen zu sein. Scheiße, Daniel, du und ich, sind wir jetzt etwa erwachsen geworden?