Wo er recht hat, hat er recht. Verlagsarbeit ist langweilig, folglich kann ein Verlagsporträt nur so spannend wie sein Verleger ausfallen, dachte sich März-Inhaber Jörg Schröder und also weiter: Was tun? Eine Rahmenhandlung schaffen, die dem chronischen Skandalon, das dem Post 68er-Familienbetrieb anhaftet, den gebührenden Platz verschafft. Drum spielt Horst Tomayer, darstellend bekannt aus dem ersten Otto-Film und Tagebücher verbreitend aus Konkret, den Betriebsprüfer, der, unwissend und unbedarft wie wohl die meisten Zuschauer dieser aus öffentlichen Geldern finanzierten Produktion des Bayerischen Rundfunks, in der hessischen Provinz über Rechnungsbeträge und Steuererklärungen in die Parallelwelt des und eines linken Kulturbetriebs eintauchen muss und davon auch nicht völlig unbeeindruckt bleibt.
Jörg Schröder spielt Jörg Schröder und darf spontan auf den komplett improvisierenden Tomayer und das vorgeführte Interviewmaterial einstiger Wegbegleiter reagieren. Und das sind derer nicht wenig: Henryk M. Broder, Karl Dietrich Wolff, Klaus G. Saur, Mathias Bröckers, Uve Schmidt und einige mehr prüfen ihren Erinnerungshaushalt. Zwischendurch ist auch mal ein Daniel Cohn-Bendit zu sehen, der als Interviewpartner zwar nicht vorgesehen, durch penetrantes Wortabschneiden dann aber doch noch einer geworden war. Die Montage zeigt, wie gegensätzlich diese Erinnerungen beschaffen sein können. Den Rest erledigt redselig, aufbrausend, sarkastisch, aber durchaus nicht unhöflich Schröder in Eigenregie, und auch hier sorgt die Montage dafür, dass er das letzte Wort behalten soll.
März, das ist wohl der symptomatischste Versuch, die Uneinheitlichkeit als Mehrebenen-Analyse, als Einheitlichkeit widerständischer Kultur zu propagieren. Da war eben nichts ohne das andere zu denken. Brinkmanns »Acid Anthologie«, Robert Crumbs »Headcomix«, Gunter Schmidts »Das große DerDieDas« bis hin zum obskuren Astrologieführer oder, noch weiter weg, aber ziemlich nah dran, der Zweitverlag Olympia Press, dessen pornographischen Lizenztitel wiederum dem Überleben des März-Verlags zugute kamen. Die Corporate Identity bot dann eben das stets gelb-schwarze oder gelb-rote Titelbild oder eben das Ziel, jedes Milieu innerhalb des Milieus im Verlagsprogramm berücksichtigt zu wissen, gegen jedes Dogma, oftmals auch gegen jede verlegerische Vernunft, zumindest aber mit Esprit.
Die März Akte, das ist dann weniger die Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs eines einstmals unumgänglichen linken Kleinverlags, es ist vielmehr die Fortsetzung des von Schröder so beständig initiierten Mythos Schröder: idealistisch gegen Feuilletonmuff verlegend, fast immer an der Schwelle zur Selbstausbeutung, dabei aber immer lauter schreiend und schreibend als die anderen, nachträglich dann doch vorausreitend, auch wenn sich dabei die Parameter des Kulturbetriebs verschoben haben mögen. Wer heute Popliteratur denkt, denkt Adoleszenz-Hochnäsigkeit im (meist nicht mal) Secondhand-Nadelstreifen, aber ganz sicher nicht Rolf Dieter Brinkmann und Bernhard Vesper.
Der Film indes stellt sich gern in die Dienste seiner Figur und macht aus seinem Duktus keinen Hehl. Lektorengespräche mit aufstrebenden Jungautoren sind offensichtlich gefaket, kurz vor Schluss liegt Schröder, ganz armer Poet, mit echten 39,5 Grad Fieber im Bett, gezwungen, der Rezitation eines Betriebsprüfergedichts vom sanft geläuterten Horst Tomayer zu lauschen, beide können sich das Lachen nicht verkneifen. Das mag auf der einen Seite unverhohlene Kolportage sein, es ist aber auch ein herrlich klatschdurchtränkter Einblick in die Mechanismen und Strukturen bundesrepublikanischer Kulturschickeria, dessen Essenz ist – im Zeitalter der digitalen Bohème mehr denn je -, dass Idealismus kaum ohne Selbstausbeutung, Selbstausbeutung sehr wohl aber ohne Glamour, wunderbar und immer noch gültig für heutige Verhältnisse anwendbar ist.
Zur DVD von absolut Medien:
Eine Fernsehproduktion aus dem Jahre 1985 wird selbstredend nicht dafür genutzt werden, das digitale Medium neu zu erfinden, zumal diese Edition leider ohnehin bloß eine kleine Käuferschar finden wird. Wirkt das Bild an manchen Stellen schon recht abgenutzt und poltert der Ton überaus blechern daher, so reicht doch allein die Freude am Wissen daran, daß auch dieses Kleinod das analoge Zeitalter hinter sich gelassen hat. Zumal die Extras den Film hervorragend ergänzen: Im Gespräch mit Mathias Bröcker läßt das Verlegerpaar die Zeit nach dem Film Revue passieren, und im 20seitigen Booklet, ein langer Auszug aus der 38. Ausgabe von »Schröder erzählt«, blickt selbiger nochmals ausführlich und originär auf die Produktionsgeschichte zurück.