Eine der schwerwiegendsten Erfahrungen, die man im Lebensabschnitt Adoleszenz machen kann, ist sicher, dass das Leben Fallstricke und Momente bereithält, die unkontrollierbar sind. Darin steckt das Potential für ausgemachte Krisen, weil Träume und Ziele sich letztlich nur im Kompromiss oder überhaupt nicht mehr realisieren lassen. Darauf kann man reagieren: mit Ignoranz, Weltflucht, Eskapismus und Exzess, mit Süchten, Zynismus, Selbstekel oder Leugnen. Diese Modelle sind allesamt in „Kleinstatthelden“ vertreten. Aber nicht eines davon ist ausgereift genug, als dass es dem Film zu seiner penetranten Absicht, melancholisches und zugleich komödiantisches Generationenportrait der entscheidungsgeplagten Mittzwanziger zu sein, Beistand leisten könnte. Er beginnt und endet im Vollsuff. Dazwischen gibt es eine Katharsis, und deswegen wandelt sich der anfängliche Alkoholrausch schließlich in glückliche Liebestrunkenheit. Dazwischen wiederum gibt es die domestizierte Illusion des nicht gelebten Lebens zu sehen, die sich jedoch, so wird sich zeigen, ziemlich leicht unter Kontrolle bringen lässt.
Den roten Faden bildet Janosch (Jonas Baeck), ein erfolgloser Musiker Anfang 20, den es zurück in seine Heimatstadt Lüdenscheid verschlägt. Die Exposition markiert seine Sinneskrise. Als er, von der schwer und allein durchzechten Nacht nach einem, so scheint es, erfolglosen Auftritt sichtbar gezeichnet, am nächsten Morgen in seinem Bulli von der lebensfrohen Lina (Nadine Salomon), seiner vergessenen Mitfahrgelegenheit nach Lüdenscheid, geweckt wird, braucht es nur wenige Minuten, bis eine Faszination zwischen den beiden behauptet wird. Die bricht allerdings nach einem Streit während einer Autopanne jäh ab. Der Duktus ist betont heiter: Setzen sich beide von den Strapazen entnervt vor das Auto, fallen Sekunden später Stoßstange und Radkappe ab. Tritt Lina wutentbrannt die Fahrertür zu, um sich zum Trampen abzusetzen, wird sie vom Gewicht ihres Rucksacks armerudernd zu Boden gerissen. Aber die Komödie soll eine tragische sein. Nach Linas Verschwinden singt Janosch mit der Akustikgitarre „You’re in the Army now“, bis das befreundete Paar Dirk (Felix Meyer) und Tanja (Tabea Tarbiat) als Abschleppdienst eintrifft. Ein frohes Wiedersehen, Anstoßen mit Bier, Fragen, was so in den Jahren passiert ist. Janosch lügt, dass ihn der Oasis-Produzent entdeckt habe. Es folgt ungläubiges Schweigen, aber umgekehrt ist der Befund auch nicht besser. Dirk echauffiert sich über einen einstigen Kifferfreund, der nun nur noch mit der Freundin spazieren geht. Prompt folgt die unwirsch abgewiegelte Reaktion Tanjas, selbiges auch des Öfteren zu vermissen. Wir lernen, hier hadern die Charaktere mit ihren uneingestandenen Lebenslügen. Klischees werden nicht umschifft, sondern zum Programm erkoren: Das Ensemble wird u.a. ergänzt von Markus (Philipp Milbrandt), einen lethargischen Kiffer im Trainingsanzug, der pfundweise Schokolade futtert und deswegen in irrsinnigen Gesprächen seine rege Verdauung erklären muss; ebenso von Janoschs Eltern, deren Ehe bedrohlich wankt, weil sie sich füreinander, gefangen in ihrem spätbürgerlich Habitus, nicht interessieren. Beides, Eheprobleme und Bürgertum, erkennt man beispielsweise daran, dass sie sogar nach einem Familienstreit die Stühle ordentlich an den Esszimmertisch rücken. Nach dem Krach im Elternhaus trifft sich Janosch mit allen alten Freunden am Badesee. Auch Lina wird wieder darunter sein.
Dass sich der Film für die Nöte seiner Figuren nur insoweit interessiert, als er sie zu Platzhaltern des irgendwie nötigen Dramas eindampft, evoziert bereits der abstruse (im Spiel meist durch heilloses overacting gelöste) Wechsel zwischen Zote und Ängsten. Erst werden auf der Strandparty traumatische Entjungferungserfahrungen offenbart und im direkten Anschluss durch die wüste Zugabe eines Cunnilingus-Erlebnisses, bei dem eine versehentlich herausgepresste Kackwurst die zentrale Rolle spielt, desavouiert. Tragik und drastischer Humor liegen schließlich dicht beieinander, lautet wohl die brachial runtergebrochene Lehre aus der Schule Kevin Smiths. Dafür opfert Regisseur Schaumburg jede Empathie, gleichfalls auch jeden Widerspruch. Die Figuren bleiben Typen oder sidekicks, sollen aber trotzdem als Flickwerk im Panoptikum der schwierigen Identitätssuche fungieren. Einzig Janosch und Lina erhalten so etwas wie rudimentäre Konturen – nämlich dass Janosch unverschuldet bei einem Autounfall einen siebenjährigen Jungen tötete und Lina in ihr stets bei sich geführtes Notizbuch romantische Geschichten schreibt. Eine trägt sie Janosch im Kino vor, in welches die zwei nachts einbrechen. Darin ersehnt sie ein Yes-Törtchen als ultimativen Liebesbeweis.
Danach folgt der Eklat, aus dem eine Moral destilliert wird, so zuckersüß wie ein ‚Liebe ist …-Kalender‘. Alle Paare, auch die Eltern, verkrachen sich in der Nacht der Entscheidungen, werden aber, bis auf die Eltern, wieder zusammenfinden; den jungen Leuten bleibt die Chance, so zeigt es eine Parallelmontage, die Fehler der alten Generation zu umgehen. Alle eingestandenen und nicht eingestandenen existenziellen Krisen gerinnen zum Surrogat falscher, geleugneter oder vernachlässigter Liebe. Am deutlichsten bei Janosch, dem ein alter Mann mit der mahnenden Geschichte seiner seit 40 Jahren verlorenen Liebe auf einer Bahnhofsbank endlich die Augen öffnet. Beseelt rennt er mit einem Yes-Törtchen über die Lüdenscheider Straßen, während Lina verträumt in ihrem Notizbuch vermerkt: Die Liebe ist wie ein Netz, in dem sich Herzen verfangen wie Fische. Ironisch ist daran leider nichts. Jenes hohe Lied der Liebe, in der jedes Unrecht, jede Bitterkeit und alle Tragik eingeschmolzen sind, wenn sich denn bloß redlich um sie bemüht wird, verbreitet hier seine falschen Strophen und strickt noch aus dem Scheitern an der eigenen Existenz ein Gewebe des Begehrens, weil es das Scheitern lediglich als selbstverschuldet verstanden wissen will. Alles andere würde sich bei einem Film, der nach den Mechanismen der entleerten Liebe sucht, nur in viel zu komplizierte, ziemlich harmoniefreie Widersprüche verzetteln. Besser, es bleibt eine Frage der richtigen Einstellung.