„Unsere ganze Weisheit besteht aus Vorurteilen. All unsere Bräuche sind nur Knechtung, Bedrängnis und Zwang. Der bürgerliche Mensch wird geboren und stirbt in der Sklaverei. Den Neugeborenen näht man in ein Wickelband, den Toten nagelt man in einen Sarg. Sein Leben lang liegt der Mensch in den Ketten unserer Institutionen.“ Bis zu Jean-Jacques Rousseau zurück führt mindestens das babylonische Sprachgewirr von „8. Wonderland“, einem Film, der mit bescheidenen ökonomischen wie auch intellektuellen Mitteln eine soziale Utopie entwirft, die sich vorzüglich aus recyceltem Material speist.
Ein global vernetztes Kollektiv hat im Internet einen virtuellen Staat gegründet, um mit kleinen, subversiven Aktionen Sand ins Getriebe der Mächtigen zu streuen. Anfangs bewegen sich diese Aktionen noch auf dem politischen Niveau von Schülerstreichen, wenn etwa Kondomautomaten im Vatikan installiert werden oder ein gewitzter Dolmetscher einen Atomdeal zwischen Russland und dem Iran vereitelt. Lustig auch die Idee, millionenschwere Fussballstars zu entführen und sie in Sweatshops zu sperren, wo sie ihre Vertragspartner billig arbeiten lassen.
In einer Art Schnelldurchlauf bietet der Film von Nicolas Alberny und Jean Mach häppchenweise Illustrationen von bestimmten Theoremen der politischen Philosophie, der Demokratietheorie und der Aporien des herrschaftsfreien Diskurses, in die sich recht zügig Omnipotenz-Phantasien und die alte Idee der revolutionären Aufhebung der Gewaltenteilung mischen. Am Ende steht dann Selbstermächtigung von allen Seiten, aber überrascht das irgendwen? All dies gerät äußerst holzschnittartig in einer Montage aus inszenierten Diskussionen von Talking Heads der Bewohner von 8. Wonderland und nachgestellter Medienrealität. Der Film ist derart wortlastig, dass man wohl eher von einem bebilderten Hörspiel sprechen sollte. Lustig auch, dass man den Ureinwohnern von 8. Wonderland – bevor der Hype beginnt! – ihre zutiefst humanistische Empathie buchstäblich an den Stimmen abhört: so viel Freundlichkeit und Nettigkeit und Toleranz! Je erfolgreicher die Bewohner von 8. Wonderland aus der Virtualität heraus agieren, desto labiler erweist sich das Konstrukt des virtuellen Staatswesens für Anfechtungen und Instrumentalisierungen. Ein Mann namens John McClane gibt sich als Führer von 8. Wonderland aus und kocht später mit erstaunlicher Chuzpe doch nur sein eigenes Süppchen. Doch die Geste, nun selbst einen Repräsentanten des virtuellen Staates als Gegen-Stimme in die Öffentlichkeit zu schicken, bleibt hilflos und wirft die Frage nach der notwendigen Prpfessionalisierung der politischen Klasse auf.
Rousseau, Kant, Marx, Max Stirner, Bakunin, Lenin, Bloch, Max Weber, Jürgen Habermas – da müssen die Bewohner von 8. Wonderland im Schweinsgalopp noch einmal durch – säuberlich werden ideologische Positionen aus der Abstellkammer der Geschichte noch einmal durchmustert. Weil die Lernprozesse hier ihren Ausgang in einer eher naturwüchsigen Protesthaltung, einem gewissen Unbehagen am status quo nehmen, mag der Erkenntnisprozess der Bewohner von 8. Wonderland immens sein, für den Zuschauer im Kinosaal ist er eher quälend, sprunghaft und kontingent. So erleben wir eine polyphone Bewegung von der Graswurzelrevolte über eine Gegenkultur bis hin zur Institutionalisierung der Bewegung und der abschließenden Selbstdestruktion. Dass die Bewegung selbst einen Lernprozess in Bewegung gesetzt hat, der das Scheitern als Erfahrung überlebt und nachwirkt, bleibt der etwas naive Ausblick eines sicher sehr gut gemeinten Films, dessen karger Mehrwert im Kinosaal allerdings bitter abgerungen sein will.