„Gegen den Mainstream des Vergessens“

von Wolfgang Nierlin


Wolfgang Nierlin: Warum haben Sie Ihren Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ betitelt, da dieser doch, auf die Perspektive der Hauptfigur bezogen, eine entgegengesetzte Blick- und Handlungsrichtung einnimmt?
Lars Kraume: Tatsächlich haben wir über den Titel „Fritz Bauer gegen den Staat“ nachgedacht, aber dieser schien mir nicht richtig, weil Fritz Bauer nicht gegen, sondern für den Staat war. Er setzte sich auch für die Demokratisierung, die Öffnung und die Modernisierung des Staates ein. Ganz bestimmt richtete sich seine Arbeit nicht gegen Deutschland, sondern war im besten Sinne patriotisch. Nur wandte er sich eben gegen den Mainstream des Vergessens. Im Titel „Der Staat gegen Fritz Bauer“ schwingt natürlich eine Doppeldeutigkeit mit: Einerseits ist das eine juristische Formulierung vor Gericht, also der Staat gegen ein Individuum, andererseits steckt darin ein David-gegen-Goliath-Prinzip. Und schließlich drückt dieser Titel im Kern aus, was im dritten Akt, dem Höhepunkt der Handlung, passiert: Der Staat verweigert Fritz Bauer die Auslieferung Eichmanns aus Israel; und das ist der Kern der ganzen Erzählung. Natürlich ist der Filmtitel aber auch eine Zuspitzung und Provokation.

Sie stellen an den Anfang Ihres Films ein Bild, das Fritz Bauers realen Tod in der Badewanne gewissermaßen vorwegnimmt und zugleich relativiert. Wollten Sie Bauer als Opfer zeigen oder welche Absichten stehen dahinter?
Bauer starb 1968 so, wie wir das zu Beginn des Films zeigen. Wenn man 2015 einen Film über ein historisches Thema macht, dann geht es zum einen um historische Genauigkeit. Daneben ist ein Film eine Abstraktion, die das Geschehen aus der heutigen Sicht zeigt. Und deshalb wäre es nicht richtig gewesen, ihn mit dem hilflos in der Badewanne ertrunkenen Bauer enden zu lassen. Das ließe sich schließlich auch als symbolisches Bild verstehen, das nicht widergespiegelt hätte, wie wir uns nach meiner Meinung an ihn erinnern müssen. Ich finde, dass er ein unnachgiebiger Kämpfer war, der die Demokratie in Deutschland voran gebracht hat und der eben trotz aller Widerstände nicht von seinem Schreibtisch gewichen ist. Und weil er von dort aus gewirkt hat, endet der Film mit einem kämpferisch hinter dem Schreibtisch stehenden Bauer. Dieses Bild ist einem der bekanntesten Fotos nachempfunden, das es von Bauer gibt und das der Fotograf Stefan Moses aufgenommen hat. Den Unfall in der Badewanne wollten wir trotzdem im Film haben, weil er zeigt, wie Gegner und Anhänger versucht haben, diesen als Mord oder Selbstmord zu deuten. Zum anderen steckt darin der Hinweis auf den ruhelosen Geist von Fritz Bauer, der nur noch mit Schlaftabletten ein paar Stunden Ruhe finden konnte. Wir wollten also auch die düstere Seite seiner Persönlichkeit thematisieren. Man muss einfach verstehen, dass ein Film näher am Theater ist als an der Biographie eines Historikers.

Könnte man diese Eröffnungsszene auch als eine Art Erweckung oder Vitalisierung des Helden verstehen?
Das erste und das letzte Bild eines Films müssen immer miteinander in Verbindung stehen. Sie symbolisieren die Reise, die die Figur gemacht hat, also wie sie in unserem Fall aus einer hilflosen Situation heraus neue Kraft gewinnt. Fritz Bauer findet diese zum einen durch den Teilerfolg bei der Ergreifung von Eichmann, zum anderen in seiner Vorbildfunktion für die junge Generation beim Kampf gegen den Paragraphen 175. Und erst danach steht er hinter seinem Schreibtisch und sagt seinen Widersachern, dass er sich nicht vertreiben lässt.

Warum bedurfte es für Sie zusätzlich der fiktiven Figur des homosexuellen Staatsanwaltes Karl Angermann, um den restaurativen Geist der Nachkriegszeit darzustellen?
Ein Spielfilm lebt von zunehmender Dramatisierung; und so muss man einen Höhepunkt im Rahmen der Geschichte finden. In der Haupthandlung ist dieser Höhepunkt die Ergreifung Eichmanns, während uns die Nebenhandlung um den Paragraphen 175 dazu dient, die Aktivitäten der Antagonisten zu fiktionalisieren. Weil es keine Dokumente darüber gibt, mussten wir die Tätigkeiten der Gegenspieler erfinden. Der Sub-Plot liefert zudem ein klares Bild davon, wie gewisse Moralvorstellungen der Nazis in der jungen Republik ungebrochen einfach weiter Bestand hatten und beispielsweise Homosexuelle strafrechtlich verfolgt wurden. Dazu muss man wissen, dass in den Konzentrationslagern auch Hunderttausende von Schwulen gestorben sind. Die junge Republik hätte also gut daran getan, das im Paragraphen 175 zementierte Unrecht abzuschaffen. Doch die Demokratisierung erfolgte in langsamen Schritten und gerade diesbezüglich war Bauer mit seiner Vorbildfunktion für die junge Generation wichtig. Wir haben also eine Figur erfunden, die diese Generation repräsentiert. Das war schon deshalb naheliegend, weil Bauer mit jungen Staatsanwälten arbeitete, an die er seine Hoffnungen knüpfte.

Sie haben im Presseheft den Film zum einen als „Erlösungsgeschichte“, zum anderen als „Heldengeschichte“ bezeichnet. Was meinen Sie damit?
Held ist natürlich ein vielfach codierter Begriff. Im Filmjargon ist der Held per se zunächst einmal der Protagonist. In der dramatischen Kunst wiederum muss der Held die Welt erneuern. Und gerade das macht Bauer: Er erneuert mit seinem demokratischen Ansatz und seinem humanistischen Geist die Gesellschaft, in der er wirkt. Dies geschieht hier wie im Theater in Form einer sogenannten Heldenreise, einer Bewegung oder Entwicklung von etwas Schlechtem zu etwas Besserem. Genau darin spiegelt sich die Erlösungsgeschichte. Das Schlechte ist die Kraftlosigkeit, die Mutlosigkeit und die Verzweiflung, mit der der Film anfängt. Zu Beginn erscheint Bauer in seinem Dienstzimmer völlig isoliert: Er traut seinen Staatsanwälten nicht, er traut seiner Behörde nicht, aus seinem Büro verschwinden Akten. Und er sagt diesen markanten Satz: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“ Schließlich scheint er auch sich selbst und seiner Wahrnehmung nicht mehr richtig zu trauen. Seine Heldenreise beginnt schließlich, als er auf die Schlüsselfigur Eichmann hingewiesen wird. Für mich ist ein Held jemand, der sich gegen alle Widerstände für die Gerechtigkeit einsetzt. Im Kontext der Erlösungsgeschichte bedeutet dieses letztlich persönliche Motiv, dass er als zurückgekehrter Emigrant, der im Ausland tatenlos der Tyrannei und dem millionenfachen Morden zusehen musste, das Gefühl hatte, etwas gutmachen zu müssen, ohne dabei zum Rachejuristen zu werden. Als er sich diesbezüglich seinem Kollegen öffnet, wird auch diesem klar, dass man sich dem Unrecht nicht beugen darf. Mit Erlösungsgeschichte ist also gemeint, den Kampf weiterzukämpfen.

Sie zeigen auch die dunklen Seiten der Figur, seine Einsamkeit, seine Nikotinsucht und den äußeren Druck, der auf ihm lastet. In welchem Verhältnis stehen diese zu seinem positiven Heldentum?
Er war nicht ganz isoliert, aber er war trotzdem jemand, der auf eine bestimmte Art einsam war – nicht zuletzt, weil er aufgrund seiner mutmaßlichen Homosexualität mit niemandem zusammenleben konnte. Wir haben versucht, dafür Bilder zu finden. Er hat diese gebrochene Seite, aber er ist zugleich heldenhaft in seiner Art, wie er mit der jungen Generation, zum Beispiel im Kellerclub, redet. Da kann man gut sehen, was für ein Demokrat er war und wie er seinen Ton findet.

In der kammerspielartigen Verdichtung des Stoffes gewinnt der Film Züge eines Lehrstücks. Möchten Sie Ihrerseits – wie Ihre Figur – aufklären?
Wir wollten vor allem ein Portrait von Bauer machen. Und zu einem Portrait von Bauer gehört natürlich auch die Enge der Dienstzimmer. Ich hätte mir gewünscht, Bauer hätte in Argentinien recherchiert, aber das wäre nur eine unrealistische Filmbehauptung gewesen. Das Spezielle unserer Erzählung ist, dass wir einen Politthriller mit eher unkonventionellen Mitteln gedreht haben und dabei versuchen, filmsprachliche Klischees zu vermeiden.

Endet Ihr Film eher mit einem moralischen denn mit einem realen Sieg?
Ich würde das Ende am liebsten als Pyrrhussieg beschreiben, aber ich glaube, diese Bezeichnung stimmt nicht ganz. Bauer wollte immer eine möglichst breite Diskussion anstoßen. Das hat aber bei Eichmann nicht geklappt. Deshalb ist sein Erfolg ein halber Sieg. Hinsichtlich der dramatischen Konstruktion bedeutet das jedoch zugleich: Er ist erlöst, weil er einen Teilerfolg errungen hat, zugleich aber auch die Widerstände spürt, die dann sein Weiterarbeiten motivieren. Der Höhepunkt seines juristischen Schaffens ist schließlich der Auschwitz-Prozess, der dann ein paar Jahre später folgt.

Wurde die heldenhafte Größe Bauers bereits von seinen Zeitgenossen erkannt?
Unter den Studenten seiner Zeit wurde er je nach politischem Standpunkt ganz sicher für seine offenen Worte geschätzt. Alexander Kluge hat ihn in seinem Film „Abschied von gestern“ auftreten lassen und ihm vor kurzem ein Buch gewidmet. Und auch mein Lehrer Reinhard Hauff hat ihn sicherlich geschätzt. Diese Generation wusste schon, wer Bauer ist. Für sie war er ein leuchtendes Vorbild.

Foto: © Alamode Film