„Kein Stoff, den ich spontan als Slapstick Comedy inszenieren würde!“

von Ulrich Kriest


Ein Gespräch mit Wolfgang Murnberger über seinen neuen Film „Mein bester Feind„, dessen etwas mühsame Produktionsgeschichte, seine eigenen fort bestehenden Bedenken, einen Buddy-Film vor dem Hintergrund des Holocaust zu drehen und über seine Probleme mit Filmkritikern, denen zu solchen Filmen immer nur Lubitsch oder neuerdings Tarantino einfällt. Das Gespräch fand Anfang August am Stadtrand Wiens statt, wo Wolfgang Murnberger gerade einen neuen Fernsehfilm dreht.

Ulrich Kriest: Mir hat ihr neuer Film sehr gut gefallen, weil er mir das intellektuelle Vergnügen bereitet hat, eine Meta-Ebene zur Handlung einzunehmen, von der aus ich das Räderwerk der Dramaturgie betrachten konnte. Immer wieder in „Mein bester Feind“ gibt es Konstellationen, bei denen überhaupt nicht ausgemacht ist, wie der Film weitergehen wird. Es ist sozusagen allerhand, vielleicht sogar alles möglich.
Wolfgang Murnberger: Hmm, woran denken Sie dabei konkret?

Ein Beispiel: Der Jude trägt die SS-Uniform und behauptet, er sei ein Nazi. Der Nazi trägt die KZ-Kleidung und behauptet, er sei der Nazi. Dann taucht die Geliebte des Nazis auf, die früher einmal die Geliebte des Juden war. Und sie entscheidet sich spontan, tja, für die alte Liebe. Was aber zu diesem Zeitpunkt und in einer durch und durch korrumpierten Umwelt alles andere als selbstverständlich ist.
Solche Szenen sind auch für mich klar die Höhepunkte des Films. Sie sind es bereits vom Drehbuch her gewesen und ich habe von Beginn an gewusst, dass dieser Film ein Kammerspiel sein wird. Es sind genau diese feinen Momente, wo es um Kammerspiel und gutes Schauspiel geht – das hat mich an der ganzen Geschichte am meisten interessiert.

Wie sind Sie denn zum Projekt gekommen?
Als ich das Buch von Paul Hengge zum ersten Mal gelesen habe, habe ich spontan gedacht: das geht nicht, irgendwie. Ich habe es nicht verstanden. Es hat geheißen: es sei so wie „Sein oder Nichtsein“ vom Ernst Lubitsch. Und dann habe ich es gelesen – und gerade mal die eine Szene mit dem Kleidertausch ist – vielleicht! – so wie der Lubitsch. Aber es ist insgesamt kein Stoff, den ich spontan als Slapstick Comedy inszenieren würde.

War denn ursprünglich eine Slapstick Comedy geplant?
Ich bin ja erst sehr spät in dieses Projekt hereingekommen. Das Buch ist ja schon sehr lange in Deutschland von Produktion zu Produktion gewandert. Es gab Probleme mit der Finanzierung, weil der Film ein Zwitter war. Keine Komödie, kein Drama. Anfangs war noch sehr viel Slapstick drin: besoffene SS-Soldaten, die nicht wissen, wem sie gehorchen sollen. Das habe ich alles reduziert, weil ich etwas Anderes erzählen wollte. Natürlich ist das Ganze auch ein Märchen, aber ich habe immer gesagt: jede einzelne Szene dieses Films hätte in der Wirklichkeit stattfinden können. Ich habe vom Autor sogar einen Originalbericht bekommen, der von einem jüdischen Häftling erzählt, der sich eine SS-Uniform angezogen hat, um zu überleben. Der Film ist also wirklich aus unendlich vielen Geschichten zusammengesetzt, die alle für sich hätten geschehen können. In seiner Gesamtheit ist die Erzählung mit ihren Auf-und-Abs und den ganzen Brüchen allerdings schon eine Konstruktion. Aber ich mag ja Zwitter im Kino eigentlich ganz gern. Aber anders als beim „Knochenmann“ konnten wir hier nicht Vollgas in jede Richtung geben: Vollgas in die Spannung, Vollgas in den Horror, Vollgas in den Humor – bei der Vorlage von Paul Hengge war unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt. „Mein bester Feind“ war von Anfang an ein feineres Gespinst als „Der Knochenmann“. Obwohl alles da ist: die Dramatik, der Humor und, klar, die Schrecken des Holocaust.

War das reizvoll oder problematisch?
Ich muss sagen: Während der ganzen Geschichte hatte ich immer Angst davor, wie die jüdischen Leute auf den Film reagieren. Dass man den Holocaust so in einen Nebel in den Hintergrund stellt, um davor eine, im weitesten Sinne, Verwechslungskomödie zu drehen. Oder einen Buddy-Film mit einem Nazi und einem Juden.

Wobei der von Georg Friedrich gespielte Rudi mir ja etwas zu beschränkt scheint, um Verbrecher zu sein, oder? Ist er nicht ebenso sehr auch ein Opfer seiner relativen Naivität?
Ich persönlich glaube ja, dass die meisten zu blöd waren, um Verbrecher zu sein. Aber gerade die vielen Mitläufer, die die SS-Uniform angezogen haben, um Karriere zu machen, darf man nicht einfach abtun. Sie wussten, dass sie sich auf eine böse Seite stellen. Aber was da genau wartete, war vielen nicht klar.

Zumal die Figur des Rudi ja ihrerseits auch bloß benutzt wird. Was die Moral der Figur ins Spiel bringt. Der muss sich seine Schuld, für die er ja durchaus ein Empfinden hat, auch später immer wieder schön reden.
Genau das hat mich an der Figur interessiert. Vom Autor her war Rudi viel böser gedacht. Mein Vater war ja auch ein Nazi. Zwar nicht bei der SS oder der SA, aber bei der Wehrmacht. Aber von der Gesinnung her, hätte der auch dort sein können. Ich bin aufgewachsen mit dieser Gesinnung. So: »Ja, wir haben geglaubt, der hat uns endlich einmal Schuhe anziehen können! War ja auch nicht alles schlecht, was der Hitler gemacht hat. Okay, das mit den Juden, das war nicht in Ordnung!« Die Dimensionen des Verbrechens hat die Täter-Generation auf diese Weise auf Distanz gehalten. Und ich bin auch mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass wir Nachgeborenen eh darüber gar nicht urteilen können und dürfen, weil wir nicht dabei waren. Trotzdem ist mein Vater da so rein gerutscht. Der hat nicht gewusst, was der Plan war: die Vernichtung der Juden.

Ungewöhnlich bei Ihrem Film, aber zum Zwitterwesen des Films durchaus passend, ist die ständige Präsenz der Gewalt, die auch unter den Nazis herrscht.
So funktioniert meines Erachtens die Diktatur. Durch die Unterdrückung der eigenen Leute, durch den Zwang und auch die Lust ein Rädchen in einer Hierarchie zu sein, wo der Druck von oben nach unten weitergereicht wird. Die SS-Uniform fungiert abstrakt als Code. Man trägt nicht Uniform, weil man ein bestimmte politische oder moralische Haltung hat. Sondern man muss eine Haltung zeigen, weil man eine bestimmte Uniform trägt. Man ist nicht böse, sondern man muss signalisieren können, dass man aktuell das Spiel des Bösen spielt. Und Moritz Bleibtreu muss diese Haltung im Selbstversuch entwickeln. Learning by doing. Nicht zu vergessen: die Verführung, die von der Uniform ausgeht. Eine meiner liebsten Szenen im Film ist diejenige, wenn Moritz Bleibtreu sich als Jude zum ersten Mal mit der SS-Uniform im Spiegel sieht und plötzlich findet, dass die Uniform schaut nicht so schlecht aus am Körper. Diese Uniformen waren einfach ein wahnsinnig gutes corporate design. Wenn man so über SS-Uniformen sprechen darf. Moritz spielt diese etwas gewagte Szene ganz großartig.

Ein rätselhafter Moment ist ja der Kleidertausch selbst. Partisanen und die Wehrmacht nähern sich gleichzeitig der Absturzstelle des Flugzeugs. Und dann hat Moritz Bleibtreu plötzlich die SS-Uniform an, als die Nazis eintreffen. Instinkt?
Ich habe das bewusst nicht aufgelöst. Wahrscheinlich hat er gesehen, dass es deutsche Soldaten sind, die sich dem Haus nähern. Ich habe da auf Moritz‘ Gesicht geschnitten, aber so einen „Wicki“-Effekt mit Sternchen kann man ja nicht bringen. Leider!

Er zieht die Uniform an und pokert, weil er nicht einmal ahnt, worauf er sich eingelassen hat. In so eine SS-Uniform muss man erst hineinwachsen, oder?
Meine große Angst war ja, wie gesagt, dass ich mit „Mein bester Feind“ noch immer jüdische Gefühle verletzen könnte. Mich plagte das schlechte Gewissen, den Holocaust als Hintergrund für so eine Geschichte zu nutzen.

Aber eigentlich sind diese Debatten doch alle längst geführt worden. Darf man ein KZ inszenieren? Darf man über Hitler lachen?
Ich habe für mich entschieden, dass ich diesen Film drehen darf, weil das Drehbuch von einem jüdischen Autor geschrieben wurde. Ich weiß nicht, wie die ganze Geschichte ausschauen würde, wenn ein deutscher Autor das Drehbuch geschrieben hätte. Ich weiß nicht, ob es diesen Film dann überhaupt gegeben hätte.

Der Autor dient als Alibi?
Mir hat es zumindest am Anfang geholfen. „Inglourious Basterds“ war sicher einfacher zu realisieren, so als Hau drauf!–Italo-Western mit den ganzen Geschichtsverdrehungen. Ich bin dagegen ja sehr nah am Realismus! Oder nehmen wir „Der Junge im gestreiften Pyjama“! Dessen Schluss habe ich nicht ausgehalten! Als Regisseur würde ich diese Szene niemals inszenieren wollen. In die Gaskammer gehen, das könnte ich nicht. Überhaupt: diese dramaturgische Keule, dass der SS-Sohn in der Gaskammer umkommt. Nur, um die die Geschichte zu Ende zu bringen. Ich fall‘ da eh sofort raus, weil ich die Komparsen, die Bulimiker sehe. So eine Gewalt würde ich nur im Off darstellen! Da möchte ich mir kein Bild machen.

Haben Sie „Auschwitz“ von Uwe Boll gesehen?
Nein!

Der gibt vor, endlich einmal den Alltag in einer Todesfabrik zeigen zu wollen. Mit den Mitteln des hyper-realistischen Exploitation-Kinos und allen mutmaßlichen Alltagsbanalitäten! Und hofft dann auf einen kleinen Skandal.
Da habe ich noch gar nichts davon gehört.

Da haben Sie aber Glück gehabt! Ihr Film aber ist doch im besten Sinne auch ein Memento Mori. Von der strukturellen Anlage des Film als ein Märchen bis zur letzten Einstellung, dem vermeintlichen Triumph der Überlebenden, der durchaus Züge von Unversöhnlichkeit trägt.
Was Georg Friedrich am Schluss sagt, spiegelt für mich die Einstellung eines Großteils der österreichischen Gesellschaft zu dieser ganzen Geschichte wider: »Brauchst nicht glauben, dass ich nicht weiß, was ein schlechtes Gewissen ist!« Dieses Eingeständnis, dass man ganz genau weiß, was man Böses getan hat. Und gleichzeitig die Haltung, dass man irgendwann einmal eine Entschädigung für die enteignete Galerie zahlen wird. Und dann sagt der Nazi zum Juden: »Ich hab‘ schwere Zeiten gehabt.« Der Georg Friedrich ist in diesem Augenblick auch mein Vater.

Georg Friedrich ist hier etwas gegen sein immer etwas exaltiertes Image besetzt, oder?
Moritz Bleibtreu war ja bereits für die Hauptrolle besetzt, als ich zum Projekt stieß. Wir haben dann gemeinsam in Wien den Darsteller des Rudi gesucht und uns übereinstimmend für Georg Friedrich entschieden. Ich denke, dass das gut passt. Georg Friedrich als der Sohn der Putzfrau, der bringt das mit. Mich hat das gefreut, dass er mal nicht einen Zuhälter oder Dealer spielt.

Haben Sie noch weitere Änderungen am Drehbuch vorgenommen?
Im Original hatten die Juden den Michelangelo hinter einem Hitler-Porträt versteckt. Dass ist dann wieder eher Slapstick. Eine hübsche Idee, aber leider gar nicht plausibel. Warum sollte ein jüdischer Kunsthändler sich ein Hitler-Bild aufhängen? Ich wollte aber ein Märchen, das so realistisch wie möglich erzählt wird. Da passte der Hitler nicht.

Was impliziert dieser Anspruch für die konkrete Arbeit mit den Schauspielern?
Als wir mit dem Film begonnen haben, haben wir jede Szene in zwei Versionen geprobt. Einmal die so genannte „realistische Variante“ (wie verhält sich ein Mensch in dieser Situation tatsächlich?), einmal die sogenannte „Chaplin-Variante“, eine etwas überhöhte, mehr gespielte Variante. Je länger wir geprobt haben, desto häufiger haben wir uns für die „realistische Variante“ entschieden, weil wir die jeweilige Szene und die in ihr herrschenden Gefühle ernst nehmen wollten. Aber es gab immer wieder Momente, wo wir uns gesagt haben: »Vielleicht geht es auch eine Spur leichter!« Und auch davon sind Szenen in den Film herein gekommen. Wir haben uns tatsächlich auf einem sehr wackligen Weg bewegt.

Macht sich Moritz Bleibtreu über solche Dinge Gedanken, bevor die Proben anfangen?
Was ich an Moritz sehr schätze, ist die Qualität seiner Vorbereitung. Der hat sich mit den Möglichkeiten des Spiels im Kopf auseinander gesetzt, weil er ernst nimmt, was er macht. Deshalb kann er bei den Proben auch Varianten anbieten.

Er kam ja zu den Dreharbeiten gewissermaßen als Dr. Joseph Goebbels, direkt von Oskar Roehlers „Jud Süss“, wo er seine Rolle mit Verve als Knallcharge interpretierte.
Ich mochte das sehr, wenngleich Roehlers Film ein paar Tendenzen hat, etwas zu moralisch oder pädagogisch zu sein.

Aber das Hysterische scheint mir schon sehr gelungen.
Finde ich auch. Und allemal besser als …

… Dani Levys komplett unlustige Hitler-Komödie.
Mir wurde ja ständig Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ vorgehalten. Aber ich finde diesen Vergleich absurd. Lubitschs Film twisted andauernd. Das ist eine so geniale Komödie, die man mit meinem Drehbuch einfach nicht vergleichen kann. „Mein bester Feind“ hatte vielleicht ein, zwei Szenen oder Momente, die in Richtung Lubitsch hätten laufen können, aber die waren wirklich spärlich gesät im Drehbuch. Bei Lubitsch geht das die ganze Zeit so, deshalb ist der Film ja so turbulent. Aber im Falle von „Mein bester Feind“ hätte sich die Handlung noch mindestens dreimal drehen müssen, um zumindest den Eindruck von Turbulenz zu erwecken. Ich liebe Lubitsch und insbesondere diesen Film, aber das war einfach nicht da. Aber halblustige Sachen auf superlustig inszenieren, so wie es Dani Levy gemacht hat, das ist halt ganz heikel.

Und zudem eine Frage des Handwerks, denn Levys Film fehlt jedes Gespür für Timing. Wie wichtig ist ein intelligentes Drehbuch?
Ganz wichtig. Lubitschs Film ist ja unerhört intelligent. Man lacht ja über die Intelligenz der Witze mehr als über die Witze selbst. Das ist alles so elegant. Aber so ein Drehbuch muss man erst mal schreiben.

Bei „Mein bester Feind“ kommt die Spannung weniger aus dem Plot als vielmehr aus der Frage: wie weit wird der Film gehen? Oder, um Lars von Trier in Cannes zu zitieren: Wie komme ich hier jetzt wieder raus? Es wird eine durchaus komplexe Konstellation geschaffen, die sich an unseren Genre-Erwartungen reibt und man genießt geradezu, wie intelligent der Film dieses Problem löst, um die Handlung voranzutreiben.
Ein Film taucht in den „Berlinale“-Kritiken zu „Mein bester Feind“ immer wieder auf: Tarantinos „Inglourious Basterds“. Um diesen Film wurden von der Filmkritik ganz erstaunliche Theorien herumgeschichtet, die so tun, als sei dieser Film eine jüdische Selbstermächtigung zur Rache im Kino. Was ich eher geschmacklos finde, zumal angesichts der Qualität des Films, die ich nicht so fraglos annehme.
Mich wundert der Vergleich auch. Weil ich finde, dass Tarantino Trash ist, während mein Film fast das Gegenteil ist. Ich wurde in Wien zu einem Vortrag eingeladen, wie man die Gräuel der Nazis im Film darstellen kann. Da ging es dann um Filme wie „Inglourious Basterds“ oder „Zug des Lebens“. Da meinte dann ein Zuschauer in der Diskussion, ein Fehler meines Films sei, dass es keine Toten gäbe. Und da frage ich mich: Ist es heute ein Qualitätsmerkmal eines Films, wie viele Tote es gibt? Bei Tarantino bleibt ja kaum einer übrig. Wobei ich finde, dass Tarantinos Film schon sehr viele schöne Momente hat. Keine Frage!

Wie reagieren Sie auf die Kritik an Ihrem Film?
Meine ursprüngliche Angst hat sich ja geradezu umgedreht. Als der Film auf der „Berlinale“ lief, bekam ich viel Zuspruch von den anwesenden jüdischen Kulturschaffenden und –vermittlern. Es sei ein wunderbarer Film geworden, der die Intention von Paul Hengge einlöse, in einem Film über jene Zeit, Juden nicht nur als abgemagerte Gestalten hinter Stacheldraht zu zeigen. Dass das für die funktioniert hat, hat mich irrsinnig gefreut. Und dann kamen die Alt-68er-Kritiker daher und sagen mir, dass das ein „No Go!“ sei. Gegen den guten Geschmack und dann auch noch so harmlos.

Wie in Woody Allens „Stadtneurotiker“, wo es heißt: Das Essen ist furchtbar – und dann sind die Portionen auch noch so klein.
Genau. „Mein bester Feind“ ist schon vom Ansatz nicht politisch korrekt. Es sei denn, ich hätte 500 Leute umgebracht wie der Tarantino.

Foto: © Neue Visionen