Soundtrack to a Coup d‘ État

(BE/FR/NL 2024; Regie: Johan Grimonprez)

Schreckliche Ungewissheit

Der Jazzschlagzeuger Max Roach und die Sängerin Abbey Lincoln intonieren leitmotivisch ihre „We insist Freedom Now Suite“, während sie von einem Chor mehr oder weniger prominenter kolonialer Stimmen unterbrochen werden. In dieser politischen Umgebung der beginnenden 1960er Jahre, als die „Kalten Krieger“ starre ideologische Blöcke formierten, wirkt der Jazz wie ein Einspruch, der seinen Widerstand gegen jegliche Vereinnahmung artikuliert. Tatsächlich werden aber zunächst Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und andere prominente „Jazz-Botschafter“ losgeschickt, um vornehmlich auf dem afrikanischen Kontinent, wo der Geist der Unabhängigkeit viele Menschen beseelt, als „geheime Waffe“ westlicher Propaganda zu wirken; und manchmal auch als Trojanisches Pferd, das die wahren Absichten der politischen Akteure verschleiert. Vor allem im Kongo, wo die belgische Kolonialmacht widerwillig auf dem Rückzug ist und der junge Patrice Lumumba zum ersten Premierminister der jungen Republik gewählt wird, soll die Musik als Sedativum die Ansprüche westlicher Kapitalisten abmildern.

Das an Bodenschätzen reiche zentralafrikanische Land steht gewissermaßen zwischen den Blöcken. Denn die Sowjetunion unterstützt andererseits das Unabhängigkeitsstreben des Kongo und anderer afrikanischer Länder. Das Gegeneinander der beiden Weltmächte im Kampf um politischen und wirtschaftlichen Einfluss bildet die historische Folie von Johan Grimonprez‘ Film „Soundtrack to a Coup d‘ État“, der mit einer ausgefeilten Montage die zahlreichen Dokumente mehr assoziativ als analytisch aufeinander bezieht. Das wiederum führt zu Unschärfen und Spekulationen; Verbindungen erscheinen beliebig; ohne historisches Hintergrundwissen bleibt vieles unverständlich und im Vagen. Grimonprez erzählt mit seinem zweifellos interessanten, teils bis dato unbekannten Material keine (chronologische) Geschichte, sondern er stellt überzeitliche Zusammenhänge her und lässt dasjenige, was in der Montage einander gegenübertritt, sich gegenseitig beleuchten.

Dass der im Titel aufgerufene Jazz als Instrument der politischen Beeinflussung dient, gehört eher zu den schwächeren Thesen des Films. Immerhin artikulieren schließlich Nina Simone, Thelonious Monk, Eric Dolphy, Ornette Coleman oder auch John Coltrane die musikalische Antithese dazu. Detaillierter, anschaulicher und gewichtiger ist der Film, wo er das „Gleichgewicht des Schreckens“ in seinen weltweiten Verästelungen darstellt. So entsteht das Bild einer höchst zerbrechlichen Ordnung in einem Klima aus Hass, Misstrauen und Gewalt. Während sich Freiheitsbewegungen, angeführt von Patrice Lumumba, Fidel Castro und Malcolm X solidarisch verbinden und in Nikita Chruschtschow einen starken Fürsprecher finden, zeigen die westlichen Staaten fast unverhüllt ihr verbrecherisches Gesicht. Der Film thematisiert diese diffuse Mischung aus rassistischer Niedertracht, kolonialer Arroganz und wirtschaftlicher Habgier weniger mit agitatorischer Absicht denn als aufgeklärtes Erschrecken über eine Ungerechtigkeit, die bis heute nach wie vor wirksam ist und die Politik bestimmt.

Soundtrack to a Coup d' État
Belgien/Frankreich/Niederlande 2024 - 150 min.
Regie: Johan Grimonprez - Drehbuch: Johan Grimonprez - Produktion: Daan Milius, Rémi Grellety - Bildgestaltung: Jonathan Wannyn - Montage: Rik Chaubet - Musik: Ranko Paukovic - Verleih: Grandfilm - FSK: ab 16 - Besetzung: -
Kinostart (D): 06.02.2025

DVD-Starttermin (D): 08.05.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt14452174/
Foto: © Grandfilm