Eine stille Melancholie und Gedankenverlorenheit liegen über der Szene, wenn Juliette (Izïa Higelin) mit dem Zug von Paris in ihr bressanisches Heimatdorf nahe Lyon fährt, um ihren überraschten Vater Léonard (Jean-Pierre Darroussin) zu besuchen. Sie brauche einen „Tapetenwechsel“, sagt die junge, scheinbar in sich ruhende Frau, die als Illustratorin von Kinderbüchern arbeitet und sich gerade mit einer Geschichte übers Glück beschäftigt. Tatsächlich leidet die sensible Titelheldin in Blandine Lenoirs Comic-Verfilmung „Juliette im Frühling“ unter einer Depression. Schlafprobleme und Panikattacken erschweren ihren Alltag.
Doch ihr familiäres Umfeld scheint das nicht zu verstehen. Ihre ältere, verheiratete Schwester Marylou (Sophie Guillemin), die mit zwei Kindern, einem Ehemann, einem leidenschaftlich verrückten Liebhaber und einem mobilen Haarstudio ziemlich vielbeschäftigt ist, tut Juliettes psychische Problem gar als „kleine Nöte“ ab. Ihr geschiedener, desillusionierter Vater pflegt einen Galgenhumor und spricht von der „Scheußlichkeit des Lebens“, während ihre resolute, freigeistige Mutter Nathalie (Noémie Lvovsky), die obszöne Bilder malt und esoterische angehauchte Liebhaber wechselt, die individuelle Freiheit propagiert.
„Es geht ums Machen. Darum, zu tun, was man möchte“, sagt sie bei einem der chaotischen Familientreffen, die ins thematische Zentrum des Ensemblefilms führen. Dieser handelt nicht nur von Juliettes Suche nach sich selbst und einem Platz im Leben, sondern auch von der Konfrontation mit der Herkunft, familiären Konflikten, lauernden Aggressionen und den Traumata einer verschwiegenen und verdrängten Vergangenheit. „Juliette: Gespenster kehren im Frühjahr zurück“ lautet Camille Jourdys autobiographisch inspirierte Graphic Novel, die dem tragikomisch getönten, vielfach berührenden Film zugrunde liegt. Die französische Regisseurin und Schauspielerin Blandine Lenoir hat dafür nicht nur Juliettes Beruf als Zeichnerin dazuerfunden, der immer wieder Momente der Ruhe und des Ausgleichs befördert, sondern mit Hilfe der Animationsfilmerin Charlie Belin einige Sequenzen fantasievoll animiert.
Zu den verschiedenen parallelen Geschichten, die der Film ebenso humorvoll wie ernst und mit offenem Ausgang erzählt, gehört auch Juliettes Begegnung mit dem Übersetzer Pollux (Salif Cissé), der im Haus ihrer Großmutter wohnt. Pollux ist ein einfühlsamer, sanfter Mann, der eine große Ruhe ausstrahlt und Juliettes Nöte versteht, wenn er diese als „tragische Dimension“ apostrophiert. Auf der Suche nach Trost und Geborgenheit freundet sich die temporäre Heimkehrerin, die am Ende doch wieder aufbrechen muss, mit dem umsichtigen Hüter des Hauses an. Darin findet Juliette schließlich eine Schachtel mit Erinnerungsstücken, die Verborgenes auf schmerzliche Art zum Leben erwecken und ihr in der Konfrontation mit der Vergangenheit zugleich einen heilsamen Durchbruch zur eigenen Persönlichkeit ermöglichen.