Über dem wild rauschenden Fluss brechen schroffe Felsformationen das blendende Sonnenlicht. Ein alter, hagerer „Indianer“ schlägt gleichmäßig eine Trommel. Von seinem erhöhten Standpunkt aus beobachtet er einen vorbeiziehenden Pferdewagen. Das Motiv ist ikonographisch und tief in der Geschichte des Wildwestfilms verankert. Als Bild kolonialer Eroberung und Expansion versinnbildlicht es das Eindringen und die Durchquerung eines fremden Raums unter den wachsamen Blicken der indigenen Ureinwohner. Der argentinische Regisseur Lisandro Alonso inszeniert in seinem neuen Film „Eureka“ solche Bilder aus dem Fundus der Western-Mythologie, um sie als medial Vermittelte zu kennzeichnen. Zugleich bricht er die Klischees mit vehementen Gegendarstellungen. Wenn der Fremde namens Murphy (Viggo Mortensen) müde und erschöpft eine mitten in der Einöde liegende Stadt erreicht, begegnet er einer schockierenden Verwahrlosung und Gesetzlosigkeit.
Der Ort ist wüst, kaputt und heruntergekommen; die Menschen sind besoffen und gewalttätig. Alkoholismus, Unzucht und Anarchie bestimmen die Szene. Auf der Suche nach seiner Tochter schießt sich Murphy skrupellos den Weg frei, nur um schließlich vom Mann (der iranische Regisseur Rafi Pitts) der jungen Frau gesagt zu bekommen: „Manchmal sind Väter unsichtbar. Und das sollten sie auch sein.“ In Schwarzweiß und im fast quadratischen Academy Format gedreht, entpuppt sich Alonsos Western-Reminiszenz kurz darauf plötzlich als Film-im-Film. Der Sprung in die Gegenwart verbindet sich daraufhin mit der genauen, dokumentarischen Erkundung der Lebensverhältnisse indigener Oglala-Lakota-Sioux im Pine Ridge-Reservat des nordamerikanischen Bundesstaates South Dakota. Bei Minustemperaturen von bis zu 30 Grad versieht hier die völlig überlastete Polizistin Alaina (Alaina Clifford) ihren anstrengenden Dienst. Der Filmemacher begleitet geduldig ihre Arbeit und vermittelt auch hier, in der Begegnung mit meist betrunkenen und hoffnungslosen Menschen, ein ebenso realistisches wie deprimierendes Bild der Entwurzelung und sozialer Ausgrenzung.
„Hinter dieser Zelle gibt es noch so viel Leben“, versucht die junge Basketballlehrerin Sadie (Sadie Lapointe) ihren jugendlichen Bruder zu ermutigen, der im Gefängnis von Kyle einsitzt. Dann besucht Sadie, die an einem entscheidenden Punkt in ihrem Leben angekommen ist, ihren indigenen, in einer ärmliche Hütte lebenden Großvater, um sich mit seiner Hilfe und den Wirkungen eines geheimnisvollen, bewusstseinserweiternden Kräutertranks von allem zu verabschieden und eine mystische Seelenreise anzutreten. „Raum, nicht Zeit“, sagt der Alte bedeutungsvoll. „Zeit ist eine Fiktion, die vom Menschen erfunden wurde.“ Lisandro Alonsos Inszenierung mit ihren langen Einstellungen und einer distanzierten Beobachtung folgt dieser raum-zeitlichen Prämisse. Spielerisch und assoziativ wechselt der Film die Schauplätze und historischen Zeiten, bricht er Handlungen ab und setzt sie insgeheim doch fort – mit anderen, verwandten oder verwandelten Figuren. Sadie ist jetzt ein Storchenvogel, vermutlich ein südamerikanischer Jabiru, im brasilianischen Urwald der 1970er Jahre, wo allerdings eher eine Traumzeit herrscht.
Erneut beobachtet Alonso das Leben eines indigenen Stammes (oder einer Sekte), das hier, weit weg von der regierenden Militärdiktatur, weniger entfremdet erscheint. Wenngleich auch in dieser tropischen, fast magisch anmutenden Welt Neid und Missgunst, Eifersucht und Rivalität herrschen; und Goldsucher zu Vorboten kommenden Unheils werden. Nach einem gewalttätigen Streit um ein Mädchen muss ein junger Mann fliehen, bis er krank und geschwächt in die Obhut einer Schamanin gerät. Mit Reminiszenzen an seinen früheren Film „Los muertos“ (2004) kulminiert die Reise und mit ihr der Film im Unbestimmten des Verschwindens. In „Eureka“ wird die mystische Sehnsucht kontrastiert von einer sehr realen, geradezu körperlichen Darstellung jener oft übersehenen oder diskriminierten Lebensweisen an den Rändern der Gesellschaft, die unseren Fortschritt in Frage stellen. Der Eskapismus der Figuren, ihre Sehnsucht nach einer anderen, vielleicht besseren Welt, verbindet die drei Geschichten einer geheimnisvollen Loslösung und verortet die dahinter stehende Perspektivlosigkeit in einer leider immer weitergehenden Geschichte der Unterdrückung.