„Olfas Töchter“ sei eine „Reflexion über die Weitergabe von Traumata von der Mutter an die Töchter“ sowie ein Film über das Erwachsenwerden unter dem „Fluch des Patriarchats“, sagt die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania. Ihr semidokumentarischer, von fiktiven Elementen und Verfremdungseffekten durchwirkter Film widmet sich dem wahren Fall und tragischen Schicksal einer Mutter, die 2016 ihre beiden ältesten Töchter an den Islamischen Staat verliert. Ghofrane (geb. 1998) und Rahma (geb.1999) seien „vom Wolf verschlungen“ worden, heißt es zu Beginn, während die beiden jüngeren, nicht weniger beeinflussbaren Töchter Eya (geb. 2003) und Tayssir (geb. 2005) bei ihrer Mutter beziehungsweise in einem Kinderheim bleiben. Um das schmerzliche Geschehen zu erinnern und die Traumata der Vergangenheit zu bearbeiten, kreiert Kaouther Ben Hania mit reduziertem Setting ein „therapeutisches Labor“, das den Beteiligten ermöglicht, ihre Wunden zu zeigen und die Kette vererbter Traumata zu durchbrechen.
Dazu treffen in einem kammerspielartigen, bewusst künstlichen Rahmen die echten Beteiligten auf Schauspielerinnen, die die beiden abwesenden Schwestern sowie teilweise auch deren Mutter spielen. Neben dem Reenactment zentraler Ereignisse sprechen die Frauen aber auch über ihre Erlebnisse und die Anforderungen durch die jeweilige Rolle. Außerdem sieht man sie bei Proben und bei Schauspielübungen, während die Regisseurin ihrerseits immer wieder die Inszenierung sichtbar macht sowie die Bilder und Arrangements dezidiert kunstvoll und schön gestaltet. Diese Verfahren einer verfremdeten Nachinszenierung mit dokufiktionalen Elementen bewirkt zwar eine Distanz zu den Fallen einer klischeehaften Wahrheit; die Dominanz des formalen Konzepts verdrängt aber auch immer wieder den Inhalt.
Dieser thematisiert die Macht patriarchaler Gesellschaftsstrukturen bei gleichzeitiger Abwesenheit der Männer und Väter. Denn bald nach der Geburt ihrer Töchter ist Olfa eine alleinerziehende Mutter in ärmlichen Verhältnissen, die sich als Putzfrau durchschlägt und sich in einem Anflug romantischer Liebe mit einem entflohenen und zudem drogensüchtigen Strafgefangenen einlässt. Es ist die Zeit des Arabischen Frühlings, der den Sturz Ben Alis zur Folge hat, die persönlichen Freiheiten zu erweitern scheint, aber auch ein politisches und weltanschauliches Vakuum bewirkt.
Die Töchter erleben Missbrauch, treiben sich herum, vernachlässigen die Schule und geraten schließlich unter den Einfluss eines islamistischen Predigers. Viele Details ihres Abdriftens, das die beiden ältesten Schwestern schließlich nach Libyen und ins Gefängnis führt und die Mutter zu einer medialen Figur macht, bleiben unklar, weil Ben Hania mehr das Gefühls- und Seelenleben ihrer Heldinnen erforscht. Doch trotz aller Unwägbarkeiten und Widersprüche vermittelt der Film ein Bild weiblicher Stärke und familiären Zusammenhalts. Ob es den Figuren gelingt, ihre „innere Wahrheit“ zu finden und einer Wiederholung der Vergangenheit zu entgehen, bleibt zu hoffen, aber zugleich fraglich.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Olfas Töchter“.