Als der 44-jährige Physiker und Autor Johannes Leinert (Jan Bülow) im Jahre 1974 in einem Hamburger Fernsehstudio sein Buch „Die Theorie von Allem“ vorstellen möchte, stößt er auf Unverständnis und Spott. Sein Werk über Multiversen und die geheime Weltformel sei kein Science-Fiction-Roman, sondern verarbeite autobiographische Erlebnisse. Er stelle darin die Frage nach der Möglichkeit paralleler, gleichzeitig existierender Welten: „In welcher Welt leben wir?“, fragt sich der Forscher, bevor er hastig und genervt die Live-Sendung verlässt. Dabei wirkt der Außenseiter wie ein Fremder, er fühlt sich unbehaglich und nervös, innerlich zerrüttet und angegriffen. Johannes Leinert bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen unverstandenem, leidendem Genie und Wahnsinn.
Nach diesem farbigen Prolog im TV-Format wechselt Timm Kröger mit seinem Film „Die Theorie von Allem“ Zeit und Ort der Handlung und damit auch in die harten Kontraste einer sehr stilisierten Schwarzweißfotografie. Zusammen mit seinem Doktorvater Julius Strathen (Hanns Zischler) fährt Johannes 1962 durch eine weite Schneelandschaft zu einem Physiker-Kongress in den Schweizer Alpen, wo das Cinemascope-Format zur relativen Abgeschlossenheit des abgeschiedenen Berghotels einen weiteren Kontrast setzt. Als der iranische Hauptredner seine Teilnahme absagt, rätselhafte Unglücksfälle beziehungsweise Morde geschehen und überdies eine merkwürdige Hautkrankheit ausbricht, ist die illustre Gesellschaft tatsächlich bald noch mehr isoliert. Immer häufiger und deutlicher korrespondieren Johannes‘ spekulativen, von Strathen misstrauisch und ablehnend kommentierten Studien mit seinen eigenen Erlebnissen. Was er träumend geschaut hat, hält er für eine lediglich noch zu beweisende Wirklichkeit. Besonders seine Begegnung mit der geheimnisvollen Pianistin Karin (Olivia Ross), die nahezu seherische Fähigkeiten besitzt und die er aus einem anderen Leben zu kennen meint, scheint seine Thesen zu bestärken.
Mit mysteriösen, konstant voranschreitenden Verrätselungen konstruiert Timm Kröger in seinem referentiellen Mysterythriller-Amalgam eine bedrohliche Atmosphäre mit einem tendenziell bedeutungsschwangeren, (philosophisch) wenig aussagekräftigen Überbau. Zwischen den korrespondierenden und interagierenden Welten und Zeiten, in denen sich Ereignisse spiegeln, seltsam umkehren oder zu wiederholen scheinen, entstehen, hervorgerufen durch physikalisch „spontane Anomalien“, „Risse in der Realität“, die das Raum-Zeit-Kontinuum infrage stellen.
Die inneren und äußeren Konflikte, die dabei ausbrechen, werden von Diego Ramos Rodríguez‘ ziemlich dramatisch-bombastischem Score unterstrichen, der mit seinen filmmusikalischen und spätromantischen Anleihen deutlich und absichtlich aus der Zeit fällt und dabei fast ein Eigenleben führt. Ständige Gewitter, der Gegensatz von unten und oben, das Motiv des Eingeschlossenseins, die Nachwirkungen traumatischer Kriegserlebnisse, das Rätsel alternativer Realitäten sowie eine sich andeutende Liebesgeschichte zwischen einem verrückten Wissenschaftler und einem Geist der Vergangenheit lassen den Film motivisch überdeterminiert und thematisch disparat erscheinen. Selbst die überraschende, plötzlich erzähltechnisch raffende Wendung in die Perspektive eines Off-Erzählers (vermutlich diejenige des Buchautors Johannes) versagt sich am Ende einer „Lösung“ und huldigt stattdessen dem Konjunktiv des Was-wäre-Wenn.