Die Einwohner der kleinen ostukrainischen Stadt Marinka nennen das Rettungsteam mit dem hellen Kleintransporter „White Angel“. Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges sind die beiden Sanitäter Vasyl Pipa, der eigentlich Polizist ist, und sein Fahrer Rustam Lukumsky in der Region Donezk unterwegs, um Menschen, die noch in ihren Kellern ausharren, zu evakuieren, Verletzte ins Krankenhaus zu bringen und Tote zu bergen. Mit einer Helmkamera, die sehr nahe und subjektive Bilder aufnimmt, dokumentiert Vasyl Pipa die Fahrten und Ereignisse im Zeitraum zwischen Frühjahr und Herbst 2022, um, wie er sagt, Verbrechen zu bezeugen und Beweismittel zu sammeln. Ergänzt werdend diese Aufnahmen durch Interviews mit Beteiligten und betroffenen Opfern, die über ihre leidvollen Erfahrungen und Gefühle sprechen. Geführt hat diese der deutsche Investigativjournalist und Kriegsreporter Arndt Ginzel im Frühjahr 2023 für seinen Film „White Angel – Das Ende von Marinka“.
Dabei entsteht eine enge Verbindung zwischen den überlieferten Bildern und den schmerzlichen Berichten der Zeugen, die aus der Rückschau auf die Ereignisse blicken. Traumatische Erlebnisse, eine plötzlich zerstörte Normalität, der psychische Dauerstress in unmittelbarer Nähe zur Front und vor allem die Schwierigkeit, Haus und Habe zurückzulassen, sind die bestimmenden Themen. „Wir leben so lange, wie es das Schicksal erlaubt“, sagen mit fatalistischem Unterton die einen, die nicht gehen wollen, obwohl die Lage immer gefährlicher wird. Andere haben Gottvertrauen und stemmen sich mit letztem Mut gegen die Bedrohung. Die Retter müssen deshalb oft schwierige und resolute Überzeugungsarbeit leisten und gestehen, dabei ebenso Mitleid wie Unverständnis zu empfinden. Für sie ist das Handeln angesichts der Not und trotz Lebensgefahr aber auch eine menschliche Pflicht. Der Film zeigt, wie der zunächst ungewohnte Umgang mit Leid unausweichlich zu einer notwendigen Routine führt.
Eingebettet sind die persönlichen Leiderfahrungen der Evakuierten, aber auch der Retter in die Chronologie einer fortschreitenden Zerstörung des ländlich geprägten Ortes, aus dem alles Lebendige allmählich verschwindet und sich der „Geruch des Todes“ ausbreitet. „Marinka scheint in der Erde zu versinken“, sagt Vasyl Pipa angesichts einer sich immer weiter ausdehnenden Wüste aus Schutt und Asche, zu der die Frühjahrsblüte der verbliebenen Baum- und Pflanzenreste in einem bizarren Kontrast steht. Mit dem Verschwinden des Ortes, so die Angst seiner ehemaligen Bewohner, scheinen auch die Erinnerungen an die Vergangenheit zu verlöschen. Nach „sechs Monaten in der Hölle“ wird die brennende orthodoxe Kirche inmitten eines wüsten, von schweren Wolken verdunkelten Ruinenfeldes schließlich zum Symbol des Untergangs. Trotzdem halten einige der Geretteten an der vielleicht unmöglichen Hoffnung fest, irgendwann in ihre Heimatstadt zurückkehren zu können, um diese neu aufzubauen.