Im Keller ihres Hauses sitzt am 17. Dezember 2012 seit Stunden eine an Händen und Füßen gefesselte Frau. Ihr Kopf steckt in einem Sack, ihr Mund ist geknebelt. Außerdem hat der maskierte Täter, der die Gewerkschaftsführerin Maureen Kearney (Isabelle Huppert) überfallen hat, mit einem Messer ein großes „A“ auf ihren Bauch geritzt und danach das Tatwerkzeug mit dem Griff voran in ihre Vagina eingeführt. Seit vielen Jahren setzt sich Kearney für die Interessen von Arbeitenden in der französischen Atomindustrie ein. Allein beim führenden Kraftwerkbauer Areva vertritt sie als Vorsitzende des Betriebsrates 50.000 Beschäftigte. Verstört und traumatisiert muss sich die sonst mutige und leidenschaftliche Kämpferin für Arbeitnehmerrechte demütigenden Fragen und gynäkologischen Untersuchungen unterziehen und dabei immer deutlicher erfahren, dass ihr mit zunehmendem Misstrauen begegnet wird. Bald steht sie im Fadenkreuz der polizeilichen, ziemlich übergriffigen Ermittlungen, die aus dem Opfer eine Verdächtige machen.
Chronologisch strukturiert durch Zeit- und Ortsangaben erzählt Jean-Paul Salomé in seinem nach einem authentischen Fall entstandenen Film „Die Gewerkschafterin“ („La syndicaliste“) zunächst die Vorgeschichte. Als bei Areva die Konzernchefin Anne Lauvergeon (Marina Foïs) entlassen und durch den ehrgeizigen Choleriker Luc Oursel (Yvan Attal) ersetzt wird, verliert Maureen Kearney nicht nur eine loyale Partnerin, sondern der Umgangston und die Bandagen werden zunehmend härter. Der machtbewusste Oursel erträgt offensichtlich keinen weiblichen Widerspruch. Die Lage spitzt sich schließlich zu, als Kearney von einem Informanten mit dem bezeichnenden Namen Tirésias erfährt, dass der angeschlagene Konzern an einen chinesischen Konkurrenten verkauft werden soll und dadurch viele Arbeitsplätze bedroht wären. Ihr Weg führt sie deshalb zu hochrangigen Politikern. Gleichzeitig erhält sie anonyme Anrufe und wird wiederholt auch körperlich bedroht.
Jean-Paul Salomé inszeniert diese Passagen und die polizeilichen Ermittlungen durch den Kommissar Nicolas Brémont (Pierre Deladonchamps) als spannenden Polit- und Verschwörungsthriller zwischen Aufklärung und Paranoia. Dabei findet er in den Architekturen repräsentativer Gebäude sowie in großen, hellen Räumen jene Bilder männlicher Macht und eines korrupten Wohlstands, denen sich die Protagonistin, schwankend zwischen Beharrlichkeit und Fragilität, entgegenstellt. Während die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Hintergrund weitgehend ausgespart bleiben, konzentriert sich der französische Regisseur auf den Kampf einer zutiefst verletzten Frau, die offensichtlich nicht in das übliche Opferschema passt und deshalb kriminalisiert wird. Die sich über mehrere Jahre hinziehenden rechtlichen Auseinandersetzungen, die der Film dokumentiert, zeigen aber auch und vor allem die Stärke einer Frau, die in immer neuen Anläufen für ihr Recht streitet.