Nichts ist so, wie es scheint. Hinter den Masken liegen Abgründe. Im Untergrund tobt das Leben. Und die Fassaden dienen der Bestätigung einer falschen Ordnung. In Ali Soozandehs Animationsfilm „Teheran Tabu“, der mit dem Rotoskopie-Verfahren hergestellt wurde, also auf Realfilmaufnahmen mit Schauspielern basiert, herrscht ein permanentes Gegeneinander. Misstrauen und Hass, Lügen und Korruption bestimmen die Beziehungen der Menschen, während die Staatsmedien zum „Schutz vor fremden Kulturen“ angebliche „islamische Werte“ und daraus resultierende Regeln verbreiten. Deren Einhaltung wird allerdings nicht nur von der Polizei, sondern auch von den Betroffenen selbst überwacht und kontrolliert. Unter der religiös begründeten staatlichen Repression wird jeder zum Beobachter des anderen und damit zum möglichen Denunzianten. Die sich auf diese Weise potenzierende Unfreiheit legt sich wiederum wie ein Netz über die Beziehungen und zeigt sich am markantesten in der systematischen Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen.
„Unordnung ist eine Form von Ordnung, an die wir uns gewöhnt haben“, sagt etwa Sara (Zar Amir Ebrahimi). Die attraktive Literaturlehrerin ist mit einem Bankangestellten verheiratet und nach zwei angeblichen Fehlgeburten erneut schwanger. Sie möchte arbeiten, was ihr Mann aber nicht erlaubt. Stattdessen muss sie sich um die Schwiegereltern kümmern. Als die resolute Pari (Elmira Rafizadeh) mit ihrem 5-jährigen stummen Sohn Elias (Bilal Yasar) in das Hochhaus mit dem weiten Blick über die Stadtlandschaft einzieht, entsteht zögerlich ein freundschaftliches Band weiblicher Solidarität. Weil ihr Mann wegen eines Drogendelikts im Gefängnis sitzt, prostituiert sich Pari, um für sich und das Kind sorgen zu können. Und weil ihr der Richter (Hasan Ali Mete) die nötigen Scheidungspapiere verweigert, lässt sie sich auf einen Sex-Deal mit ihm ein. Der junge Musikstudent Babak (Arash Marandi) wiederum hat unter Drogeneinfluss bei einer geheimen Party die vorgeblich verlobte Donya (Negar Mona Alizadeh) entjungfert. Jetzt soll er Geld auftreiben, damit das Hymen operativ wieder hergestellt werden kann.
Die lose verknüpften, als „short cuts“ erzählten Episoden enthüllen eine dicht gefügte Welt der Parallelitäten und eine alle Lebensbereiche durchdringende Doppelmoral. Der wiederholte Blick über die Skyline der Millionenstadt und damit auf die vielen anderen ähnlichen Schicksale verweist auf das Exemplarische der Geschichten, deren Verdichtung freilich nicht frei ist von Typisierungen und Zuspitzungen. Mit einem sehr dynamischen Erzähltempo und einer unerwartet unverblümten Sprache zeichnet der im deutschen Exil lebende Iraner Ali Soozandeh ein düsteres Gesellschaftsbild und entlarvt dabei die mehr oder weniger aufgezwungenen Lügen. Vor allem der kleine Elias wird zum stummen Beobachter und Zeugen des widersprüchlichen Treibens und der Heuchelei. Wie sehr das unhintergehbare Geflecht aus Abhängigkeiten einen selbstverleugnenden Anpassungsdruck erzeugt, verdeutlichen in „Teheran Tabu“ schließlich die wechselnden farbigen Hintergründe, die ein Fotograf je nach Anlass und Zweck für seine Porträtfotos bereithält. Sind diese für staatliche Behörden gedacht, wählt er konsequent eine dunkle Folie aus.
Der Film ist noch bis zum 14.03.2023 in der Arte-Mediathek zu sehen.