Als Joy (Elizabeth Banks), die zentrale Figur in Phyllis Nagys Spielfilm „Call Jane“, vor dem Verwaltungsrat des Krankenhauses sitzt, traut sie ihren Ohren nicht. Es wird über sie gesprochen, nicht mit ihr. Außer ihr nur Männer im Raum.
Der Gegenstand des Nicht-Gesprächs: ein möglicher Schwangerschaftsabbruch Joys. Denn die junge Frau erwartet ein Kind und die Ärzte haben festgestellt, dass Schwangerschaft und Geburt für Joy aufgrund einer Herzerkrankung tödlich ausgehen könnten. Die qualmende Runde mittelalter weißer Männer ficht das nicht an. Das Kind sei die Hauptsache, die Mutter ein besserer Gebärautomat. Hier wird nicht weniger als ein Todesurteil ausgesprochen.
Es ist das Jahr 1968 in Chicago. Draußen läuft sich die Linke bei Protesten warm – gegen Krieg, gegen die restriktiven Regeln der Gesellschaft. Joy, bereits Mutter eines Kindes, lebt in einer klassischen Hausfrauenehe. Der gesellschaftliche Aufbruch spielt sich woanders ab. Auf ihrer Suche nach Hilfe rät ihr der Anwalt, sie möge auf unzurechnungsfähig machen: „Wenn Sie zwei Psychiater überzeugen können, wegen der Schwangerschaft selbstmordgefährdet zu sein, darf man ihnen die Abtreibung nicht verwehren.“ Bald darauf sieht man Joy auf der Liege, wie sie mit dem Therapeuten über die Vor- und Nachteile einer Selbsthinrichtung mittels einer Schrotflinte diskutiert.
Dass es so nicht weitergeht, ist ihr schnell klar. Durch Zufall erfährt sie von einer Gruppe namens „Jane Collective“, die in Schwierigkeit geratenen Frauen wie Joy Hilfe verspricht. Der Kontakt mit den feministischen Aktivistinnen soll ihr Leben verändern.
„Call Jane“ erzählt die Ereignisse rund um diese im Untergrund agierende Gruppe am Beispiel der Joy nach. Die Aktivitäten ihrer Mitglieder beschränken sich dabei nicht auf das Thema Abtreibung, sie wollen auf gesellschaftliche Gerechtigkeit hinaus. „Was machen wir als nächstes: Gleichberechtigung? Gleicher Lohn?“ heißt es an einer Stelle. In ihrer persönlichen Notlage wird der bis dahin unpolitischen Hauptfigur klar, unter welchen Bedingungen sie lebt. Frauen hatten zu der Zeit kein Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Erst der Urteilsspruch des US-Supreme Courts, des obersten Gerichts der USA, aus dem Jahr 1973 legalisierte die Abtreibung (der Fall „Roe gegen Wade“) in den USA grundsätzlich. Bis dahin hatte das Untergrundkollektiv der „Janes“ fast 12.000 Abtreibungen organisiert.
Für die Frauen war der Weg über die „Janes“ nicht leicht, wie der Film eindrücklich zeigt. Ärzte, deren Approbation nicht unbedingt an der Wand hängt, nehmen den Eingriff für viel Geld in düsteren Hotelzimmern vor, in denen die Farbe von der Decke bröselt. Nachdem auch Joy die Operation durchlebt hat, will sie für Verbesserungen sorgen. „Der Eingriff dauert 20 Minuten, das können wir selbst“, erklärt sie der engagierten „Call Jane“-Chefin Virginia (Sigourney Weaver).
„Call Jane“ erzählt von der politischen Bewusstwerdung eines jungen Menschen, der an gesellschaftliche Grenzen stößt. Der Film verzichtet auf plakative Härten, oft steht die farbenfrohe und liebevoll rekonstruierte 60er-Jahre-Bonbon-Welt in Kontrast zu den Ereignissen. Den Schauspielerinnen gelingt dennoch ein überzeugendes Drama. Sie sei der Überzeugung, „dass man ernste Themen am besten mit einem Hauch von Leichtigkeit“ vermittele, sagt Regisseurin Phyllis Nagy.
Die Arbeit der „Janes“ ist 50 Jahre nach dem Ende der Gruppe aktueller, als sich das viele Menschen in den USA wünschen. Im Juni 2022 hob der Supreme Court das Urteil „Roe gegen Wade“ mit knappem Votum auf und bestätigte die Rechtsgültigkeit von Anti-Abtreibungsgesetzen in Staaten wie Mississippi. US-Präsident Joe Biden kritisierte das Urteil, es mache die USA „zum Außenseiter unter den entwickelten Nationen der Welt“. Es drohen Verhältnisse wie in längst vergangenen Zeiten – mit illegalen Schwangerschaftsabbrüchen oder weiten, teuren Reisen in andere Länder. Amnesty International rief in der Vergangenheit dazu auf, in der US-Hauptstadt Washington für das Recht auf sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche zu protestieren. „Mit seinem Urteil hat der Supreme Court Millionen Menschen den sicheren und legalen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch genommen“, sagt die Expertin für Geschlechtergerechtigkeit bei Amnesty International in Deutschland, Katharina Masoud.
Der Film „Call Jane“ gibt hier die Möglichkeit, über die Wahlfreiheit von Frauen, über ihre Autonomie nachzudenken. Der Film sei Ausdruck einer sich ständig weiterentwickelnden Debatte, von der sie aufrichtig hoffe, „dass wir sie noch lange nach der Premiere des Films weiterführen“, hofft Regisseurin Nagy.
Diese Kritik erschien zuerst in: Amnesty Journal