„Ich träume nie“, gesteht Werner Herzog, während er unter dem tiefblauen Himmel Kaliforniens in seinem Auto eine von Palmen gesäumte Straße entlangfährt. Der deutsche Filmemacher, Schriftsteller und Abenteurer empfindet das durchaus als einen Mangel, den er dadurch kompensiere, dass er Geschichten erzähle, die wie Träume in uns schlummerten. Und weil der Weltensucher Herzog in seinen Spiel- und Dokumentarfilmen diese unmöglich erscheinenden Fantasien wirklich werden lässt, gilt er seinen Bewunderern und Weggefährten als „Visionär“ (V. Schlöndorff) und „mythische Figur“ (W. Wenders). Mit seiner „einzigartigen Sichtweise der Welt“ (R. Pattinson) mache er auf „hypnotische Weise“ (N. Kidman) „unmögliche Dinge möglich“ (J. Oppenheimer) und offenbar dadurch eine „ekstatische Wahrheit“ (C. Zhao).
Diese von Regisseuren und Schauspielern geäußerten Statements und ehrenden Superlative, die Thomas von Steinaecker in der Exposition seines Dokumentarfilms „Werner Herzog – Radical Dreamer“ relativ ungeordnet und abstandslos versammelt, zielen entsprechend auf eine Hommage. Weder kritisch noch analytisch unternimmt von Steinaecker einen materialreichen Streifzug durch Herzogs Leben und Werk, dem allerdings der rote Faden fehlt. Im schnellen Wechsel beliebig erscheinender Interview-Häppchen, Filmschnipsel, Kuriositäten und Ortsbegehungen bleibt vieles redundant oder nur streiflichtartig angerissen. Dabei beansprucht der Dokumentarfilmer, der auch als Schriftsteller arbeitet, offensichtlich selbst, eine unbekannte Realität sichtbar zu machen, wenn er eingangs ironisch angibt, der Film sei „nach einer wahren Begebenheit“ entstanden.
Ziemlich früh sagt der Portraitierte: „Alle meine Filme entstehen aus Schmerz. Das ist die Quelle. Daher kommen sie. Nicht aus Freude.“ Daraufhin besucht Thomas von Steinaecker das Dorf Sachrang an der Grenze zu Tirol, wo Herzog in den letzten Kriegsjahren mit seiner Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester unter Entbehrungen aufwuchs. Er macht uns bekannt mit Herzogs „Seelenlandschaft“, seinem Traum vom Fliegen und seiner „Suche nach neuen Bildern“, die dann vor allem in den schwierigen Dreharbeiten zu „Aquirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“ zu immer neuen Grenzverschiebungen ins Extreme, schier Unüberwindliche führen und in der wiederholten Zusammenarbeit mit dem unberechenbaren Klaus Kinski auch an menschliche Grenzen stößt. Wie und warum Werner Herzog dabei an eine Wahrheit rühre, die jenseits der Tatsachen liege, wird dadurch kaum verständlich. Dass der Extremfilmer in den darauffolgenden Jahren im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zur Kultfigur avancierte, die gar die Zeichentrickserie „Die Simpsons“ inspirierte, erscheint allerdings geradezu plausibel.