„Draußen lag unerwartet helles Licht / über dem See, und ein Wind kam auf, / der mich die Unterseite der Blätter sehen ließ.“ Diese ersten Zeilen sowie die nachfolgenden erscheinen vor dem Hintergrund einer grau getönten Leinwand. Sie stammen von dem Dichter und Verleger Michael Krüger und geben den melancholisch gestimmten Grundton von Frank Wierkes Langzeitdokumentarfilm „Verabredungen mit einem Dichter“ vor. Zugleich liegt in diesen wenigen Worten das Forschende einer Poesie, die ihre Einsichten aus einer genauen Naturbeobachtung gewinnt. Lange und in Naheinstellung verharrt die Kamera auf dem Gesicht des Porträtierten, der ernst und mit angespannter, leicht lauernder Aufmerksamkeit den Zuschauer frontal anblickt. Stimmungsvoll, in schwindenden Nebel und diffuses Licht getaucht, rückt der Starnberger See ins Bild, von den Klängen einer Solovioline untermalt. Dann sagt der Dichter in leicht desillusioniertem Tonfall: „Es braucht hoffnungslos lange, bis man so ungefähr ahnt, wer man ist.“
Um etwas von dieser Identitätssuche und künstlerischen Selbstbefragung zu vermitteln und dabei vor allem die Persönlichkeit des bekannten Verlegers zu beleuchten, besucht Frank Wierke den Autor ab Dezember 2013 mehrmals über einen Zeitraum von etwa sechs Jahren bis zum Beginn der Corona-Pandemie. Der ruhige, genau gegliederte Film setzt ein kurz vor Michael Krügers Pensionierung und zeigt diesen an seinem Arbeitsplatz im Münchner Hanser Verlag, wo er über vielfältige Aufgaben und lange Arbeitstage spricht. Seine besondere Aufmerksamkeit und Faszination gilt allerdings dem alten Baum vor seinem Fenster, dessen lebendige Zeugenschaft für Krüger eine tröstliche Konstante bildet. Auch im Garten seines Privathauses sowie in der Hütte am See rücken Naturbetrachtungen in den Mittelpunkt. Viel gelernt hat der 1943 geborene Schriftsteller diesbezüglich von seinem Großvater, einem sächsischen Bauern. „Vielleicht brauchen wir nichts zu wünschen / vielleicht leben wir schon im Paradies“, heißt es unter der Überschrift „Im Wald“.
Im Ruhestand, der angesichts vieler Termine ziemlich unruhig ist, wolle er sich endlich seinen vielen angefangenen Projekten widmen, um bei der Vorbereitung auf das Lebensende leichter zu werden und „die Trümmer aus dem Kopf zu kriegen“. Zwischen den hohen Bücherregalen seiner geräumigen Arbeitsbibliothek denkt Krüger nach über seine intensive Lesepraxis, die anarchische Tätigkeit des Gedichteschreibens, über Philosophie und Natur und über den für ihn immer unverständlicher werdenden Sinn von Kunst. Angesichts von Krankheit und Tod fragt der Dichter aber vor allem nach dem, was bleibt. „Gedichte sind misstrauisch / sie behalten für sich, was gesagt werden muss“, heißt es unter dem Titel „Nachtrag Poetik“. Ist die Kunst also ein eher unzuverlässiger Ratgeber und ein eher ungeeignetes Erkenntnisinstrument? Bedingt durch eine schwerwiegende Krankheit, fühlt sich Michael Krüger zunehmend „aus sich selbst herausgedrängt“. Nachdenklich und ernüchtert stellt er schließlich fest: „Ich bin nicht geworden, der ich bin.“