Immer wenn in „Moneyboys“ von C. B. Yi ein neues Kapitel beginnt, gleitet die Kamera im sanften Flug über Wasser oder flache Gewässer, über ruhige Wellen, die Unmerkliches in Bewegung bringen, verbergen oder auslöschen. Auch die Bilder dieses melancholischen Films öffnen sich schrittweise, werden aufgezogen wie Jalousien. So entstehen Zusammenhänge, Figuren- und Beziehungskonstellationen erst über Zeiten und Räume hinweg. In langen Plansequenzen, von Bildgestalter Jean-Louis Vialard oft aus der Hand gedreht, folgt der chinesisch-österreichische Filmemacher seinen Protagonisten, beobachtet sie ausführlich beim Karaoke-Singen in Bars, beim ausgelassenen Tanzen in Discos, in großen Essen-Szenen und beim Sex. Dabei vermitteln die Cinemascope-Bilder immer auch eine Unbestimmtheit. Die Konflikte, die von den Figuren verbal und körperlich ausgetragen werden, verweisen auf eine unsichere Identität, auf eine Suche irgendwo zwischen dem Alten und dem Neuen.
Fei (Kai Ko) und Xiaolai (Lin Zhengxi) arbeiten als Strichjungen beziehungsweise als Callboys in einer chinesischen Stadt. Die beiden jungen, hübschen Männer mit den offenen, freundlichen Gesichtern, die Lust und Begehren ausdrücken, sind aber auch ein Paar. Sie haben leidenschaftlichen Sex, kaufen zusammen Kleider und besuchen Bars. Doch Fei, der schüchterner und unsicherer wirkt, ist nicht frei von Schuldgefühlen. Weil er seine Familie auf dem Land finanziell unterstützt, ist er gegen den Rat seines Freundes auch bereit, einen potentiell gefährlichen Kunden zu besuchen, was schlecht ausgeht. Fei kehrt verletzt zurück und Xiaolai, der ihn daraufhin rächt, wird selbst zum Opfer der Gewalt. In einem Lied über Beijing hatten sie zuvor noch gesungen: „Hier suchen und verlieren wir uns.“ Nach einem Zeitsprung lebt Fei fünf Jahre später in einer anderen Stadt, in einer modernen Wohnung und in einer neuen Beziehung. Offensichtlich hat er es als „Moneyboy“ zu einigem Wohlstand gebracht. Doch dann holt ihn auf verschiedenen Ebenen die Vergangenheit ein.
Erst entpuppt sich ein Freier als Polizist, sodass Fei verhaftet wird, weil sein Gewerbe in China illegal ist. Dann, als er seine Familie in einer ländlichen Region besucht, gerät er aufgrund seiner verheimlichten Homosexualität in einen heftigen Streit mit einem Onkel. Auch emotional wird Fei zerrieben zwischen traditionellen Anforderungen und einem modernen Lebensgefühl, zwischen familiären Pflichten und einem individuellen Freiheitsbedürfnis. Seine Unentschlossenheit und innere Zerrissenheit spitzen sich noch zu, als der junge Long (Bai Yufan), ein früherer Kumpel aus seinem Heimatdorf, plötzlich bei ihm in der Stadt auftaucht und nicht nur ebenfalls den Erfolg und die vermeintliche Unabhängigkeit als „Moneyboy“ sucht, sondern sich außerdem heftig in Fei verliebt. Als dann plötzlich auch noch Xiaolai wie ein Schatten aus Liebe und Schuld von der Vergangenheit in die Gegenwart tritt, wird Fei vollends in ein Gefühlschaos gestürzt.
Feis melancholisches, dem Schicksal ergebenes Lebensgefühl unterlegt C. B. Yi, der seinen Film „Moneyboys“ in Taiwan gedreht hat, mit Klaviermusik von Chopin. Den langsamen Bewegungen einer Straßentänzerin folgt Fei wie in Trance. Wenn er an Opferzeremonien für die Verstorbenen seiner Familie teilnimmt, zeigt das eine Verbundenheit, die seine persönlichen Schuldgefühle zugleich vertieft. C. B. Yi blickt mit seinem eindrucksvollen Film auf eine zwischen unsicheren Werten ausgesetzte Generation, die sich verkauft, ohne wirklich Freiheit zu finden, während die komplizierten Liebesverhältnisse sowie das sexuelle Begehren von Schuld und Verboten umlagert sind und deshalb ein Doppelleben erzwingen. Die Utopie aus Schutz und Vertrauen ist dabei in einem neuen, patchworkartigen Bild der Familie aufgehoben. Die Keimzelle dafür bleibt allerdings das alte vom Glück der Zweisamkeit, wenn Feis Schwester beim Abschied zu ihrem Bruder sagt: „Wenn du die richtige Person findest, musst du sie gut festhalten.“