Die wechselnden Hintergrundfarben, mit denen die Vorspanntitel von Joachim Triers neuem Film „Der schlimmste Mensch der Welt“ unterlegt sind, weisen bereits auf die Unentschiedenheit seiner Protagonistin hin. Im kursorisch und ziemlich rasant erzählten Prolog ist die junge Julie (Renate Reinsve) damit beschäftigt, ihre Studienfächer und Liebhaber zu wechseln, bis sie nach medizinischen, psychologischen und fotografischen Lerninhalten schließlich als knapp 30-jährige Verkäuferin in einer Buchhandlung landet. Julie ist auf der Suche nach sich selbst und nach einem Platz im Leben, was in einer Zeit schier unbegrenzter Möglichkeiten schwerer ist denn je; und sie unterdrückt ihre Unsicherheit mit stetig wiederkehrenden Fluchtbewegungen. Als sie schließlich den erfolgreichen Comic-Zeichner Aksel (Anders Danielsen Lie) kennenlernt, der allerdings fünfzehn Jahre älter ist, scheint sich ihr unstetes Leben auf den ersten Blick zu beruhigen.
Doch die Ungleichzeitigkeit ihrer mehr oder weniger schwankenden Lebensentwürfe zwischen Selbstverwirklichung und Erfahrungshunger holt die Protagonisten ein. Joachim Trier und sein langjähriger Ko-Autor Eskil Vogt haben für ihre sich über mehrere Jahre ausdehnende Geschichte eine dezidiert literarische Form gewählt. Fragmentarisch in zwölf Kapitel unterteilt und von einer Off-Erzählerin kommentiert, folgen wir der schwierigen Identitätssuche einer jungen Frau, ihren Krisen und ihrer Hoffnung, ihrer Trauer und ihren Freuden. Dabei erzeugt Joachim Triers Inszenierung eine sensible Spannung zwischen Leichtem und Schwerem. Denn irgendwann beschließt Julie, die sich als Statistin ihres eigenen Lebens fühlt, Aksel trotz ihrer Liebe zu ihm zu verlassen und stattdessen ihren Gefühlen zu Eivind (Herbert Nordrum) nachzugeben, den sie zuvor bei einer Hochzeitsfeier kennengelernt hat.
Wenn der Film in einer langen, bezaubernden Szene die Magie dieses Liebesglücks zeigt, steht die Zeit still, ist das Leben, das die Liebenden umgibt, eingefroren. Immer wieder überschreitet Joachim Triers intensive Inszenierung auf (alb)traumhaft schöne Weise die Grenzen von Raum und Zeit, etwa auf einem rauschhaften Trip mit psychoaktiven Pilzen. Das dabei zum Vorschein kommende Unterbewusste deutet zugleich auf das Verdrängte und Ungelöste in Julies Leben, das in den einzelnen Kapiteln sukzessive thematisiert wird. Neben den wiederkehrenden Fragen nach der beruflichen Zukunft, nach Mutterschaft und dem richtigen Lebenspartner, rückt auch Julies schwierige Beziehung zu ihrem Vater in den Fokus. Joachim Triers bewegender und mit viel Musik aufwartender Film, der den Abschluss seiner „Oslo-Trilogie“ bildet, weitet daneben auch den Blick auf den gesellschaftlichen Zeitgeist. Und er konfrontiert außerdem mit großer Einfühlsamkeit und menschlicher Anteilnahme seine Heldin, die entgegen dem selbstironischen Titel „ein verdammt guter Mensch“ ist, wie Aksel einmal sagt, mit äußerst schmerzlichen persönlichen Verlusten.