Let’s face it: Russell Crowe wird immer dicker. Das Durchschnittsauto auch. Zum Glück? Wohl kaum. Bald wird, in Erwartung sich verschärfender Verteilungskämpfe im und um urbanen Raum, jeder Pkw gepanzert sein wie ein SUV. Dieses Kürzel liest sich „as you wish“. Und weil in „Unhinged – Außer Kontrolle“ die Welt sich nicht den Wünschen des massiven Mannes am Steuer fügt, rastet er aus und rast. Nämlich einer Alleinerzieherin (Caren Pistorius) und ihrem Fortnite-geschulten präpubertären Sohn in deren Schrottauto nach – als Vergeltung dafür, dass sie sich für ihr unhöfliches Hupen an der ergrünenden Ampel nicht entschuldigt hat. Er will ihr, so deklariert er seine manische Mission, eine Lektion erteilen. Seine Ex und deren neuen Gemahl hat er gleich zu Filmbeginn gemeuchelt.
Er fährt übrigens streng genommen kein(en) SUV, sondern einen Pickup Truck, aber für die Verfolgten macht das, im Rückspiegel gesehen, nicht so viel Unterschied, was die bedrohlich fette Karrosserie hinter ihnen betrifft. Könnte auch ein Spielberg’scher Tanklaster sein (wären nicht Stadtstraßen und -autobahnen in New Orleans hier der Schauplatz). Der Pickup war ja das Erfolgsmodell bei den rasanten automobilen Gebietsgewinnen des gottesstaatlichen Terrorregimes IS vor einigen Jahren. Der oder Das SUV hingegen ist mit anderen, im Westen legitimeren Typologien raumgreifender Maskulinität assoziiert. (Und natürlich mit Liebe zur Natur, keine Frage.) Jedenfalls werden in „Unhinged“ nach dem regennächtlichen Initialmord noch 75 kurzweilige Minuten des Stalking in Blech (nebst Handyklauterror und boshaften Gesprächsgames) absolviert – seitens des bullig alternden Repräsentanten einer rabiaten Normalpopulation, die sich entmachtet, des ihr zustehenden Respekts beraubt und zu wenig geliebt (und gefürchtet) fühlt. Romper Stomper aber auch!
So – nämlich „Romper Stomper“ – hieß ein noch in Australien gedrehtes Skinhead-Drama aus den frühen 1990ern, mit dem Russell Crowes Aufstieg zum Weltstar begann. Überhaupt erinnert diese vorwiegend sitzend bzw. mit außen getragenem Zelthemd absolvierte Rolle schräg an seine Anfänge in Schurkenrollen, die mit einer Aura rücksichtslos-sadistischer Virilität aufgeladen waren, so auch als ins Leben versetztes, obsessiv auf ein Opfer fixiertes maliziöses „Computerprogramm“ in dem Virtual Reality-Thriller „Virtuosity“ vor einem Vierteljahrhundert.
Die schön schlanke Thrillerkonstellation von „Unhinged“ hingegen macht auf #MeToo, das aber zu verhalten (und macht am Ende sogar einen Rückzieher in Richtung fürderhin Selbstbeschränkung beim Hupen – was ethisch vertretbar ist, wenn es um Lärmreduktion und Limitierung der bewaffneten Alltagsraumaneignung durch motorisierten städtischen Individualverkehr geht; aber als eine Final-„Moral“, der zufolge eine per Stalking terrorisierte Frau in der Öffentlichkeit künftig lieber schön ruhig und unauffällig sein möchte, ist das verheerend). Der Doku-Vorspann mit Verkehrsüberwachungskamera-Schnipseln will uns etwas über road rage als Symptomatik unserer Tage sagen. Aber warum nicht gleich den Konnex von automobiler und präsidentieller Wut (die ja nicht erst dieses Jahr ausgebrochen ist), jeweils als Mittel zur Öffentlichkeitsdurchdringung, stark in den Raum stellen? Ja, eh, o.k.: Dieser Film will niemanden vergraulen und lieber viele spannend unterhalten, passt schon. (Übrigens sind alle Cops und Amsträger*innenfiguren rund um das weiße Täter-Opfer-Geschehen in diesem Film people of color.)
Überhaupt: Die Stärke von „Unhinged“-Regisseur Derrick Borte sind nicht Worte, ist nicht der Überbau. (Auch wenn sein Vorname von Wien über München bis Amsterdam mit dem Schon-mal-Holen eines Wagens und der Verteidigung alter Werte assoziiert ist… ach, diesen Kalauer versteht niemand mehr, zu Recht.) Das bewies schon anno 2016 Bortes patriarchal und misogyn missratenes Coming-of-Age-Drama „London Town“ über The Clash, mit einem gockeligen Joe Strummer als Ersatzvater, der einen Kleinstadtbuben lehrt, auf seinen Dad zu hören und seine promiskuitive Mum zu schelten, bäh – da ist das diesjährige Modell mit Rücksitzbub, Steuer-Mum und Daddys rächender Rückkehr im Rückspiegel sympathischer.
Und: Was in „Unhinged“ hinhaut, ist mehr Crash als Clash. Deftige Blechschäden, trocken und aprupt serviert, sowie Spannungsschinderei-Setpieces an der Tankstelle bzw. im Diner, das erfreuet die Nerven. Warum also es nicht dem Alt-Gladiator gleichtun, breit dasitzen und obsessiv nach vorn schauen? Und zwar im Kino, wo dieses rohe B-Movie seine Chance nützt und Platz findet, in Europa noch lange bevor es in seinem Herkunftsland anlaufen kann, denn in den USA regieren The Big C und The Big D mit und ohne SUV, das ist schlecht für Mensch und Kino. Sicher, es gibt schönere und menschlichere Filme als diesen – aber wie lange noch? Oder auch: Wann wieder, nämlich auf Leinwand? Wer da noch bingt und nicht hingeht, ist unhinged. Naja, das vielleicht nicht, aber: Ein Herz für schlanken Kino-Thrill mit dicken Stars und Autos zu beweisen, wird selten so einfach und nachgerade sinnvoll gewesen sein.