Der Film beginnt mit einem Zitat aus unbekannter Quelle: „An Tagen, an denen alles weiß ist, so dass Himmel und Erde miteinander verschmelzen, können die Toten mit den Lebenden reden.“ Dann fährt ein Auto, aus subjektiver Perspektive aufgenommen, durch dichten Nebel, bis es in einer Kurve die Leitplanke durchbricht und jenseits des Hangs aus dem Sichtfeld verschwindet. Im Undeutlichen berühren sich Leben und Tod, An- und Abwesenheit, Diesseits und Jenseits. Die vergehende Zeit, die ein Übergang oder eine Brücke sein könnte und die vielleicht Wunden heilt, zeigt sich kurz darauf in einer Montage wechselnder Jahreszeiten und Lichtstimmungen. Die Einstellung der Kamera bleibt dabei stets gleich in ihrem Blick auf ein Anwesen mit Haus und Pferden. Dann wird das Bild dunkel und die Stimme eines Mädchens bittet einen Großvater, das Licht einzuschalten.
Es wird hell, etwas beginnt und löst sich im Moment einer kurzen Heiterkeit im surrealen Bild eines Pferdes, das sich ins Wohnzimmer verirrt hat. Der trauernde Ingimundor (Ingvar Sigurðsson), der bei einem Autounfall seine Frau verloren hat, renoviert ein Haus und kümmert sich nebenbei liebevoll um seine 8-jährige Enkelin Salka (Ída Mekkín Hlynsdóttir). Ein ziemlich fordernder, konfrontativer Therapeut fragt den Traumatisierten, als würde dieser neben sich stehen: „Wissen Sie, wer Sie sind?“ „Ein Mann, Vater, Großvater, Polizist, Witwer“, sagt Ingimundor. Dieser ist so sehr in der Trauer gefangen, dass er den Zugang zu sich versperrt hat. Die Arbeit am Haus und die quirlige Salka lenken ihn zwar ab. Doch der ehemalige Polizist kann nicht loslassen. Als er unter den hinterlassenen Sachen seiner Frau Spuren findet, die darauf hindeuten, dass diese ein außereheliches Liebesverhältnis hatte, wird aus Ingimundors Verdacht eine Obsession mit schwerwiegenden Folgen.
Der isländische Regisseur Hlynur Pálmason inszeniert in seinem Film „Weißer weißer Tag“ Räume als Seelenlandschaften. Distanz, Trennung und Isolation werden von seinen ausgefeilten Bildkompositionen evoziert. An anderer Stelle vergegenwärtigt eine Montage von Gegenständen die Erinnerung an den tragischen Unfall. Geschichten über Vergänglichkeit und Bilder des Todes ziehen sich durch den Film, während die Ahnung der Untreue Ingimundors Gedanken infiltriert und eine bedingungslose Suche nach der Wahrheit in Gang setzt.
Der eindrucksvolle, nachdenklich stimmende Film gewinnt seinen Rhythmus aus der einsamen Trauer seines Helden, dessen blindwütige Verzweiflung sich schließlich im Dunkel eines (auch symbolischen) Tunnels als befreiender Schrei entlädt. In teils rätselhaften Bildern wiederum spiegelt Pálmason auf poetische Weise jenes Unbekannte, das den zunehmend gewalttätig agierenden Wahrheitssucher nicht ruhen lässt. Einmal stößt Ingimundor – man erinnert sich dabei an den Unfall vom Anfang – einen schweren Stein einen Hang hinunter. Wir folgen seinem langen Weg, der wie eine unumstößlich Abfolge von Ursache und Wirkung erscheint und der schließlich unter Wasser endet – an einem Ort, an dem das Wissen ins Vergessen mündet.