In einer hellen, felsigen Graslandschaft jagt ein Hund ein Kaninchen. Dieses hält inne, lauert, atmet schwer. In einem Stall, der vielleicht nur ein verwahrloster Raum ist, zerfleischt das stärkere das schwächere Tier. Ein Esel schaut zu, teilnahmslos, blickt uns für einen Augenblick an, erinnert uns an denjenigen, von ausweglosem Leid geprüften in Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“ (FR/SWE 1966).
Zum Beispiel das Gegeneinander in der Wildnis des Lebens: Im Dämmerlicht, kurz vor dem Ende der Dunkelheit, kehrt ein Junge zurück, schweigsam und verdreckt. Er meldet sich in seiner Schule, wird von seiner Mutter abgeholt, die sich ihm zu Füßen wirft, schwer atmend. Ein sakrales Bild: Die Anbetung des geretteten Kindes, der Trost darüber, vielleicht Erleichterung. Doch der Junge, der Phillip (Jakob Lassalle) heißt, ist am Fuß verletzt. Die müden, ratlosen Lehrer wissen nicht, was zu tun ist mit der (schulischen) Zukunft des Jungen. „Ein Unglück jagt das andere“, wird bei einer Theaterprobe von Schülerinnen und Schülern aus Shakespeares „Hamlet“ zitiert.
In Angela Schanelecs existentiellem Film über das Leben als Krise und fortwährenden Kampf gibt es keine Lösungen für die Konflikte und Probleme, sondern allenfalls eine Besänftigung, die aus der Natur kommt oder sich mit ihr verbindet. „Jedes Urteil ist undenkbar und falsch“, sagt Astrid (Maren Eggert) zu den Lehrern ihres Sohnes über das, was sich dem Verstehen entzieht. Die alte, in die Aporie führende ontologische Frage nach dem Verhältnis von Sein und Werden steht hinter diesem Satz. Astrid, die an der Uni arbeitet, ist eine Mutter in Sorge. Der Filmtitel „Ich war zuhause, aber…“, inspiriert von einem Titel („Ich wurde geboren, aber…“) des japanischen Meisterregisseurs Yasujiro Ozu, formuliert bereits die Einschränkung, den Widerspruch und das Innehalten. Astrid, die allein zwei Kinder erzieht, hat vor wenigen Jahren ihren Mann verloren, der Theaterregisseur war – was sich auch als ein autobiographischer Hinweis Schanelecs verstehen lässt. Jetzt legt sie sich eines Abends auf dessen Grab.
Die Trauer ist noch nicht zu Ende, aber David Bowies „Let’s dance“ in der reduzierten Version von M. Ward, die plötzlich über dem Friedhof erklingt und zu einem vielleicht heilsamen Tanz vor Phillips Krankenbett führt, setzt einen Kontrapunkt. Ungewissheit, Schmerz, Einsamkeit bleiben trotzdem davon unberührt. „Ein Kerker sei mein Ankerplatz auf Erden“, heißt es im „Hamlet“.
Weil sich die Wahrheit des Leidens mit der Lüge des Schauspiels nicht darstellen lässt, verzichten Schanelecs Figuren auf alles Mimetische, das Illusion erzeugen oder zur Identifikation verleiten könnte. Damit korrespondiert wiederum das Absehen von äußerer Dramatik und einer geschlossenen Handlung. Stattdessen inszeniert Angela Schanelec sehr sinnlich, frei und immer überraschend Fragmente in der Zeit, blickt lange auf Details wie Füße und Hände, sinnt ihnen nach, gestaltet sie zu Denkbildern oder taucht sie in die Aura flüchtiger Meditationen.
An anderer Stelle sucht sie im Nachhall der Bilder, beispielsweise von Räumen, Spuren des Abwesenden. Die Wahrheit erscheine nur dort, wo man die Beherrschung verliere, also im richtigen Leben, sagt Astrid einmal. Angela Schanelecs Film handelt deshalb auch von der Differenz zwischen Kunst und Leben.
Hier gibt es einen weiteren Text zum Film.