Eine alte Dame bei der Gartenarbeit, vor einem schmucken britischen Vorstadthäuschen. Nichts könnte harmloser sein, denkt man. Doch Vorsicht und genau aufgepasst, Freunde der Freiheit! Die Frau, Joan Stanley, war, bevor sie das possierliche britische Muttchen gab, jahrzehntelang eine Spionin für den Russen bzw. die Kommunisten. Gleich am Anfang dieses Films wird sie deshalb auch von der Polizei verhaftet. Hochverrat! Frau Stanley, die „Rote Joan“, wie sie früher genannt wurde, soll während des Zweiten Weltkrieges und danach für den KGB gespitzelt und Geheimnisse aus Atomforschung und Wissenschaft an Stalins Schergen verraten haben. Nicht einmal ihr erwachsener Sohn, ein blasierter Rechtsanwalt, weiß davon! Kann das möglich sein? Eine Kommunistenhexe, die jahrzehntelang unentdeckt (also von sozialdemokratischen Ministern protegiert) ihre Rosen im Vorgarten stutzen kann, ohne dass der britische Geheimdienst aktiv wird und die Alte in den Knast befördert?
Dann kommt die erste von vielen langatmigen Rückblenden, die der Zuschauer durchstehen muss: Die junge Joan im Jahr 1938, als Studentin an der Universität von Cambridge. Dort lernt sie den feschen, rhetorisch begabten Linksradikalen Leo und dessen ebenso exaltierte wie emanzipierte Schwester Sonya kennen (beide entstammen einer jüdischen Flüchtlingsfamilie), zwei richtige Pfundstypen, die mehrere Sprachen sprechen und sich mordsmäßig mit Weltpolitik auskennen. Der eine ein süßer Lockenkopf mit Grips in der Birne und die andere eine schnafte, eigenwillige Superbraut mit Zigarette zwischen den Fingern und auch mit eigenem Kopf! Gemeinsam geht man bald – logo! – zu sozialistischen Filmabenden und will den Genossen Stalin bei dessen Bemühungen, internationale Gerechtigkeit herzustellen, unterstützen. Tolle junge Leute! Respekt! Leo nennt Joan bald seine „kleine Genossin“ („my little comrade“), denn so haben junge Leute damals geredet, klar, muss man wissen.
Doch stopp! Bevor wir hier zu früh zu viel verraten, – zack – erst einmal zurück in die Gegenwart: Die harmlose britische Hausfrau vom Anfang, die gealterte Joan von heute, die, eine elektronische Fußfessel tragend, den Polizisten, von denen sie gerade vernommen wird, einen Tee serviert und auch selbst einen trinkt (aus einer Che-Guevara-Tasse, hihi), beteuert ihre Unschuld: Was, bitteschön? Einem kommunistischen Spionagering soll sie früher jahrzehntelang angehört haben? Nein, nie habe sie jemals etwas Böses im Sinn gehabt, immer nur Gutes!
Worauf die nächste langatmige Rückblende folgt: Die junge Joan, so erfahren wir, sie war verliebt in den feschen Leo, der aufrüttelnde Reden gegen den Faschismus halten konnte und tolle Locken hatte! Doch Leo will nichts von ihr wissen, sondern sie immer nur zum Spionieren bewegen, weswegen Joan eine Affäre mit ihrem Chef beginnt, einem beständig mansplainenden Lackaffen und Rüstungswissenschaftler.
Es folgen viele ermüdende Groschenheftdialoge: „Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt“ – „Blablabla“. „Das Letzte, was ich zu ihm sagte, war, dass ich ihn nicht lieben würde, und dann fand ich ihn tot“ – „Schluchz“. „Ich liebe dich noch immer. Sag mir, dass du dasselbe empfindest“ – „Blablabla“. „Ich liebe dich, ich kann nicht leben ohne dich“ – „Seufz“.
Doch irgendwann ist Joan doch bereit, im Interesse der Atomkriegsverhinderung, versteht sich, Geheimnisse aus der Atombombenforschung an den Russen zu verraten bzw. als Kundschafterin für den Frieden tätig zu werden. Erstens deshalb, weil Leo ihr erklärt hat, warum das eine rundum gute Mission ist („Die Bombe muss geteilt werden“). Und zweitens, weil Joan im Kino weinen musste, als sie die Filme über die Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki gesehen hat.
Die Rote Joan hat also praktisch aus Liebe zur Welt und den Menschen für den Russen spioniert: Nur wenn atomares Gleichgewicht herrscht, also der Russe auch im Besitz der Bombe ist, kann der Frieden bewahrt werden, so lautete ihr Credo. „Ich wollte die Welt vor der Zerstörung retten! Es ging mir nicht um Faschismus oder Kommunismus!“ Na, dann. Faschismus? Kommunismus? Alles nur komplizierte, von Männern erdachte Fremdwörter! Unsere Joan handelt, damit böse Menschen keinen Krieg machen!
Dieser enorm schlechte, kitschige Film von ausgesuchter Langeweile, der in jeder Hinsicht kreuzbrav und bieder erzählt ist, in gut abgehangenen Schnitt-Gegenschnitt-Fernsehfilmästhetik-Blabla-Szenen und mit wie historische Schaufensterpuppen gekleideten Schauspielerinnen und Schauspielern, und der den Zuschauer obendrein unentwegt mit nerviger Schmonzettenmusik volldudelt, hat, wie oben angedeutet, jede Menge Dialoge zum Davonlaufen. Er ist ungefähr so unterhaltsam, originell, überraschend und fortschrittlich wie ein Stück Graubrot. Vor einem Kinobesuch sei hiermit dringend gewarnt.
Diese Kritik erschien zuerst am 03.07.2019 in: Neues Deutschland