„Wie bin ich das geworden, was ich nie werden wollte?“, fragt die unglückliche Protagonistin (Marie Rathscheck) im Prolog zu Susanne Heinrichs ungewöhnlichem Episodenfilm „Das melancholische Mädchen“. Ihr krisenhaftes Unbehagen an sich selbst und an der Gesellschaft artikuliert zunächst einen noch unverstandenen Zustand weiblicher Identität, auch wenn die Frage ein Wissen über das Wünschenswerte impliziert. Bevor sich das titelgebende melancholische Mädchen auf die Suche nach Antworten begibt und dabei sehr diskursiv Theorie und Praxis verbindet, macht es aber erst einmal seinen Standpunkt als filmische Anti-Heldin klar: Sie eigene sich weder als klassische Identifikationsfigur für den Zuschauer, noch folge ihre Analyse struktureller gesellschaftlicher Verhältnisse einem dramatischen Plot. Während sie das sagt, steht sie, nur in einen Pelzmantel gehüllt, vor einer bunten Tapete mit Meer und Palmen und raucht gleichgültig eine Zigarette.
Die artifiziellen Settings mit ihren flachen, pop-farbenen Hintergründen, die statischen Kamera-Einstellungen, das ausdruckslose Spiel und das mechanische, betont emotionslose Sprechen sind ästhetisches Programm. Susanne Heinrich, die zuvor als Schriftstellerin reüssierte, bezieht sich mit ihrem ebenso kalkulierten wie originellen Film, der mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde, auf den Brechtschen Verfremdungseffekt. Animationen, einige Tanz- und Musicaleinlagen sowie ein zeitloser Bigband-Sound ergänzen und konterkarieren in einigen Teilen diese Distanzierungsverfahren, mit denen die Regisseurin Sehgewohnheiten dekonstruierten möchte. Als „Ästhetik der Glätte“ hat Susanne Heinrich ihre künstlichen Arrangements bezeichnet, in denen feministische Diskurssplitter, funkeln oder aufblitzen, eins stoischer Humor nistet, aber manchmal trotz schräger, aufschlussreicher Einfälle eben auch die Langeweile.
Die ausdrucks- und ziellose Titelheldin selbst verkörpert diesen Überdruss und Ennui am Ende (weiblicher) Utopien, den sie in vierzehn Episoden archetypisch durchdekliniert. Als wohnungslose Schriftstellerin befindet sie sich in einer Schreibkrise. Als zynische Verweigerin, die ihre erlebten Enttäuschungen durchschaut, glaubt sie weder an romantische Liebe noch an ein rosarotes Mutterglück, weder an Beziehungen noch an Sex. In „post-erotischen Zeiten“ empfindet sie ihren Körper als „ein Kriegsgebiet“, „zur Benutzung freigegeben“. Der leerlaufende Narzissmus ist zur Selbstimitation in einem unechten Leben geworden und die „strukturelle Depression“ befördert nur noch das Glück der anderen. Selbst in der Kunst und ihrem „Versprechen auf Freiheit“ sieht die desillusionierte Anti-Heldin nur noch eine „Diktatur der Selbstverwirklichung“. Susanne Heinrichs abschließende „Hymne auf die Gesellschaft“, von Störgeräuschen, visuellen Aufsplitterungen und Verdoppelungen unterwandert, lässt sich deshalb wohl am ehesten als Austreibung verstehen, die vielleicht einen Aufbruch in etwas Neues möglich macht.
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Das melancholische Mädchen“.