Ein Mann schläft, während Regen gegen die Scheibe der kleinen Dachwohnung prasselt und im spartanisch eingerichteten Zimmer da und dort Schmeißfliegen summen. Wenn Ray (Patrick Romer) erwacht, gilt sein erster Griff einer Plastikflasche mit selbstgebrautem Starkbier. Auf der Bettkante sitzend, trinkt er konzentriert und zügig sein erstes Glas. Warmes Sonnenlicht fällt in breiten Streifen auf die vergilbte Tapete, ein Elektroheizer glüht, gleichmäßig Stille erfüllt den Raum, der wie eine Zelle wirkt. Ray ist ein harter Trinker, der durch die Gleichförmigkeit seiner vom Alkohol notdürftig belebten Tage treibt, als würde die Zeit stillstehen. Alles geschieht ruhig und langsam. Alles wiederholt sich: Trinken und Schlafen, der tägliche Besuch von Rays Kumpel Sid, der Rechnungen bezahlt und den Alkohol mitbringt, sowie das Summen der Insekten. Manchmal scheint es, als seien die Gegenstände beseelt.
Das weitgehend isolierte Eremitendasein des alten Trinkers rahmt Richard Billinghams tief beeindruckendes Spielfilmdebüt „Ray & Liz“. Nach dieser Exposition macht der Film einen Zeitsprung in die frühen 1980er Jahre, als Ray (Justin Salinger) mit seiner übergewichtigen, Kette rauchenden Frau Liz (Ella Smith) und zwei Kindern in einem Vorort der englischen Industriestadt Birmingham noch als Familie zusammenlebt. Die heruntergekommene Wohnung ist versifft, Plastikblumen und Nippes dienen als Dekoration, diverse Haustiere bevölkern zusätzlich die drangvolle Enge, die eigentlich eine Leere ist. Niemand scheint sich wirklich um irgendetwas zu kümmern oder zu sorgen. Als einmal der tattrige Onkel Lawrence auf den kleinen Jason aufpassen soll, endet das in einem Totalbesäufnis, zu dem der tumbe Tor von einem hinterhältigen Untermieter angestiftet wird. Schließlich ist es der vernachlässigte, sich selbst überlassene Jason, dem Billingham in einer weiteren Episode ein berührendes Portrait widmet.
Der renommierte englische Fotograf erzählt in „Ray & Liz“ von seiner eigenen Familie. Dabei gilt sein nüchterner, ungeschönter Blick den ärmlichen, absolut trostlosen Verhältnissen seines Herkunftsmilieus, in dem die Menschen mit geradezu bleierner Schwere verharren. Das fast quadratische Bildformat des auf 16 mm gedrehten Films unterstreicht diese Enge und Perspektivlosigkeit, für die Richard Billingham keine Hintergründe erhellt oder Erklärungen liefert. In stimmungsvollen Bildern und mit ruhigen Kamerabewegungen entwickelt er zusammen mit seinem Bildgestalter Daniel Landin vielmehr eine Poesie der Hässlichkeit und des Vergeblichen. Wie in einer Art gleichbleibendem Dämmerzustand sind die Menschen in einer Hölle aus Mitleidlosigkeit und Brutalität gefangen. Nur für einen Augenblick erleben sie die Wärme einer Zuwendung; nur für einen traurigen Moment erinnern sie sich an das, was vielleicht einmal hätte sein können.