Am Anfang ist alles klar. Eine Zollbeamtin mit pflichtbewusstem Blick scannt die Gesichter der Reisenden. Sie ist nicht allzu groß, nicht allzu schön. Eine typische Amtsträgerin eben, eine Charaktermaske. Vielleicht sogar ein autoritärer Charakter. Am Schluss allerdings ist gar nichts mehr klar. Außer, dass der erste Eindruck dieser Frau vollkommen irreführend war.
Die schwedische Schauspielerin Eva Melander ist als Zöllnerin Tina kaum wiederzuerkennen. Schon ihre Maske, die wirkt wie ein raffiniert gemodelter Packen Pappmaché, deutet an, dass hinter „Border“ mehr steckt als ein Grenzdrama über Zöllner und Reisende. Tina riecht menschliche Gefühle und erkennt so Dinge, von denen ihre Kollegen nur träumen können. Eines Tages erwischt sie einen Mann mit Kinderpornos. Und fast gleichzeitig trifft die ungewöhnliche Dame ihren Traumprinzen Vore (Eero Milonoff mit einer ähnlich aufwendigen Maske). Dass die beiden zusammengehören, ist ebenso offensichtlich wie verstörend, denn ihre Optik, ihre Fähigkeiten und ihre Mimik lassen sich nur schwer zuordnen.
Dass „Border“ bei den Oscars für das beste Make-up nominiert war, ist logisch. Der Rest des schwedischen Fantasydramas dürfte die Academy eher verprellt haben. Regisseur Ali Abbasi und Drehbuchautor John Ajvide Lindqvist weiden sich an allem, was unangenehm ist oder einer Diskriminierung unterliegt. Und da zählen soziale Ausgrenzung und Transgender noch zu den simplen Themen. Die Umstände von Tinas Leben sind immerhin skurril und mit viel optischem Witz erzählt. Allein das Setting ihrer Wohnung, einer abgelegenen Bude im Wald mit Schmarotzermitbewohner und dessen Kampfhundrudel, zeugt von trockenem skandinavischen Humor. Nach dem bissigschwarzen Entrée wird es allerdings härter und skandinavischer.
Doch ist „Border“ keine effektheischerische Horrormär, sondern ein politisch und gesellschaftlich aufklärerischer Film mit Märchenelementen. Vermutlich geht er deshalb so tief an die Eingeweide und Schleimhäute. Das Unbehagen des Menschen an seiner Reproduktionsfähigkeit, das faschistoide Moment, das einer jeden Gruppe innewohnt, die Schuld der Eltern gegenüber dem Kinde – all das sind Tabus. Demgegenüber kommen die animalischem Rumpelsexszenen fast schon standardmäßig rüber.
Diese Kritik erschien zuerst in: KONKRET 04/2019