Am Anfang sind Zeilen des schwedischen Dichters und Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer zu lesen: „Unendlich hoch stehen die Wolken. An den Wurzeln des Himmelsbaums wühlt das Meer, zerstreut und wie auf etwas lauschend.“ Unterlegt sind sie mit faszinierenden Bildern der weiten See mit ihren Abstufungen in ein schier unendliches Blau, das sich in wechselnden Lichtstimmungen berührt mit dem „stillen Dach“ eines tief stehenden Himmels. Nachts scheint aus ihm ein großer Vollmond, während ein riesiges Kreuzfahrtschiff vorübergleitet. Mit seinen vielen beleuchteten Kajütenfenstern, die zu Stockwerken aufgetürmt sind, wirkt dieses schwimmende Haus seinerseits, als würde es in den nächtlichen Himmel wachsen. Mit diesem sehr poetisch formulierten Kontrast zwischen Natur und Zivilisation, der auch das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie anspricht, eröffnet Volker Koepp seinen neuen Film „Seestück“.
Der renommierte Dokumentarfilmregisseur, der in seinen unaufdringlich intimen Filmen den Blick immer wieder auf die Landschaften und Menschen des europäischen Nordostens richtet, widmet sich diesmal den Küsten des baltischen Meeres. Selbst an der Ostsee im pommerschen Stettin geboren, verknüpft er seine aktuellen Erkundungen mit persönlichen Erinnerungen. Stehen in seinen früheren Arbeiten oft Menschen im Mittelpunkt, die nach Krieg, Vertreibung und politischem Wandel ihre Identität behauptet haben, akzentuiert Koepp neuerdings stärker die schöne Landschaft als einen bedrohten Lebensraum. Nach seinem diesbezüglich aufschlussreichen Film „Landstück“ bereist er für sein „Seestück“ nun verschiedene Anrainerstaaten der Ostsee, wo er Menschen trifft, die Auskunft geben über ihr Lebensglück an den stillen Stränden, aber auch über ihre Sorgen und Ängste.
Volker Koepps vertrauensvolle, fast beiläufig erscheinende Gesprächsführung, die in langen, ungeschnittenen Einstellungen eine große Offenheit erzeugt, ist zugleich von einer menschenfreundlichen, bewegende Momente vermittelnden Nähe gekennzeichnet. Von einem alten Fischer auf Usedom erfahren wir vom Verschwinden des Zanders und dem Rückgang der Heringsbestände. Die sich verändernde Ökologie des Meeres spricht auch aus den Bildern, die gigantische Industrieanlagen, Pipelinelager und Offshore-Windparks zeigen. Aspekte des Massentourismus und die von Menschen gemachten Gefahren im Schiffsverkehr, aber auch die Sorge um den Frieden an den Grenzen zu Russland sind weitere Themen, in denen ein krisenhaftes Verhältnis des Menschen zu seinen natürlichen Ressourcen zum Ausdruck kommt. Mit Hinweisen auf die Ethik des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, die frühsozialistische „Kapitalismuskritik“ Rousseaus und die Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich rufen befragte Wissenschaftler zugleich Gegenentwürfe auf, in die sich auch eine leise Hoffnung mischt: Dass jenseits von wirtschaftlichem Optimierungswahn und verdrängter Wahrheit die Selbstheilungskräfte der Natur wirksam bleiben und der Mensch durch die Krise zur Vernunft kommen möge.