Die Wahrheit, als Bild von einem Lichtstrahl in den Raum geworfen, nehme tausendfache Gestalt an, sobald dieser breche, heißt es einmal in den Worten eines Poeten. In Gábor Bódys facettenreichem Film „Narziss und Psyche“ aus dem Jahre 1980, der auf der halbfiktiven Anthologie des ungarischen Dichters Sándor Weöres basiert, ist alles auf diese komplexe Vielstimmigkeit angelegt. Das Historische, bis in einzelne Figuren verbürgt, mischt sich mit dem Fiktiven, das sich wiederum vom Mythos nährt. Die Geographie der Orte, nachvollziehbar in den vielen Kapitelüberschriften, umgrenzt einen geschichtlich und politisch instabilen Raum, den die Zeitläufte der etwa 120 Jahre umfassenden Erzählzeit kontinuierlich transformieren. Und weil die Figuren darin nicht altern, während sich die Welt doch ändert, ist das Schicksalhafte, vielleicht Fatalistische von Anfang an gesetzt.
Sie sein ein „Spielball des Schicksals“ heißt es entsprechend zu Beginn des legendären Films über die 1795 geborene Erzsébet Lónyay alias Psyche, die von einer Romni und einem ungarischen Adligen abstamme. Gleich mehrere Erzählerstimmen umkreisen, wiederholen und vergewissern sich den verwirrenden Ereignissen ihrer „glücklichen“ Jugend und beglaubigen dadurch die fiktive Erzählung. Die schöne, temperamentvolle Psyche (Patricia Adriani), die sich zu ihrer Erziehung nur widerwillig in die Obhut von Nonnen begibt, ist nämlich ungewöhnlich freiheitsliebend und selbstbewusst. Mit ihrer „nymphomanischen Gier“ verführt sie Männer und lässt sich verführen; dabei wird sie zur politischen Zeitzeugin. Zwar liebt sie seit ihrer Jugend den seeelenverwandten Dichter László Tóth (Udo Kier), der sie einst das Schreiben lehrte. Doch der Narziss genannte Syphilitiker, der auf seiner unglücklichen Suche nach der absoluten Wahrheit zuerst theologische, dann medizinische Studien treibt, und die umherirrende Psyche sind auf ewig in einem Erfüllung entbehrenden Abhängigkeitsverhältnis gefangen. Stattdessen heiratet sie den eifersüchtigen Aufklärer Freiherr von Zedlitz (György Cserhalmi), Sterngucker und Minenbesitzer in einem.
Die hier nur rudimentär skizzierbare äußere Handlung korrespondiert mit einer Vielzahl historischer Bezüge, kulturgeschichtlicher Referenzen und philosophischer Anspielungen. Das reicht von den Ideen der Aufklärung und dem reformerischen Ringen für ein neues Ungarn bis zum Rationalismus der heraufziehenden Moderne zwischen sozialer Frage, mechanistischem Menschenbild und übersteigertem Individualismus. Dieser wiederum wird bis in die nietzscheanische Umnachtung hinein von dem tatsächlich immer größenwahnsinniger werdenden Narziss verkörpert. „Wir sind in uns eingeschlossen. Alles andere ist Imagination“, erklärt dieser seinen heillosen Selbstbezug. Der Titel seiner Schrift „Die Rolle des Individuums in der Perfektion des Schicksals“ ruft indes jene widerstreitenden Kräfte und unauflöslichen Spannungen auf, von denen Bódys erratisches, teils undurchdringliches Opus magnum in seinen dunklen Unterströmungen handelt.
Mit barocker Phantastik und experimentierfreudiger Opulenz amalgamiert der ungarische Filmkünstler und Video-Pionier surreale Visionen mit bacchantischen Halluzinationen und romantischen Lichtstimmungen. Während die ungewöhnlichen, zwischen Kunst und Kitsch changierenden Bilder von blauen Lichthöfen illuminiert beziehungsweise durchflutet werden und an ihren Rändern manchmal zu brennen oder sich wie in einem Schmelztiegel aufzulösen scheinen, antwortet die Tonebene darauf mit verfremdeten Stimmen und in Synthie-Klänge getauchte klassische Kompositionen.
So hat Gábor Bódy (1946-1985) mit seinem ungewöhnlichen audio-visuellen Filmexperiment ein ebenso avantgardistisches wie zeitloses Gesamtkunstwerk geschaffen, das in seiner Komplexität den Betrachter enorm herausfordert. Nach einer Rekonstruktion durch Bódys Bildgestalter István Hildebrand lässt sich das epische dreiteilige Werk nun in seiner vollen Länge von 261 Minuten, erstmals mit deutschen (sowie englischen) Untertiteln versehen, auf DVD betrachten.