Eine heftige Schlägerei unter Kriminellen hat gerade ihr Ende gefunden, da verharrt die Kamera auf einer nunmehr blutbesudelten Oliver-Hardy-Puppe, die neben einer Stan-Laurel-Puppe jene Werkstatt schmückt, in der es zur Auseinandersetzung kam. Ein Quäntchen Komik inmitten widriger Umstände: in seiner Deplatziertheit so bizarr wie traurig. Und es sind Momente wie dieser, die den Film durchziehen: etwa die mit Engelsflügeln und Heiligenscheinen ausgestatteten halbnackten Tänzerinnen in der höllisch-rot erleuchteten Discothek; oder die Madonnen-Abbildung auf dem Rücken eines Geschäftsmannes, der in geselliger Runde die Beseitigung eines unberechenbaren Störenfrieds vorschlägt; vor allem aber das Duo des Films, das sich aus ebendiesem Störenfried und dem titelgebenden Dogman zusammensetzt.
Der Dogman, das ist Marcello, der örtliche Hundefrisör: klein und schmächtig mit quäkiger Stimme. Ein kleiner Kläffer, ein Pinscher, ein Underdog. Ganz anders als sein bulliger Kumpane Simone, zu dem Marcello schon aus rein physischen Gründen aufschaut. Mit Körpergröße, Muskelmasse, Aggressivität und jeder Menge Egoismus setzt dieser sich gegen jedermann durch – auch gegenüber Marcello, der den Freund, welcher eigentlich keiner ist, regelmäßig mit Kokain versorgt, das dieser dann mitunter rücksichtslos noch im Hundesalon Marcellos konsumiert, gleichwohl dessen minderjährige Tochter anwesend ist. Und so leiden nicht bloß die übrigen Einwohner eines reichlich heruntergekommenen Küstenstädtchens in Süditalien unter dem Schlägertypen, der krumme Dinger dreht, diverse Schulden hat und verspieltes Geld mit Gewaltandrohung zurückfordert, sondern vor allem auch Marcello, der treu wie ein geprügelter Hund für den Kumpanen sorgt. So wie er auch aus Berufsgründen hübsche Pudel und wütende Mastiffs pflegt, kümmert er sich auch privat voller Hingabe um die kleine Tochter und den asozialen Freund: versucht etwa, das Mädchen vor den Drogen und der Gewalt im Umfeld zu behüten, geht regelmäßig mit ihr Schwimmen und Tauchen, versorgt Schusswunden des kriminellen Freundes.
Simone jedoch steckt mit einem anderen Ganoven einen von Marcellos kläffenden Hunden in die Tiefkühltruhe, fängt in Gegenwart des Freundes Streitereien an, zwangsrekrutiert ihn als Fluchtwagenfahrer und speist ihn stets mit geringen Entschädigungen ab. Seine eher unsensible Zuneigung zeigt sich bloß, wenn er dem Gefährten beim Feiern zulacht und ihm Kokain unter die Nase reibt. Selbst der bekümmerten Mutter gegenüber zeigt sich der schwerfällige Klotz nicht allzu einfühlsam: Als diese ihm wieder einmal seine Vergehen vorhält und in wütende Verzweiflung ausbricht, umarmt er die wehrlose Frau solange, bis ihre Wut verraucht ist – freilich ohne auf ihre Empörung zu hören.
Erst als Simone gegen Marcellos Willen von seinem Laden aus bei dem benachbarten Juwelier einbricht und Marcello für ihn ins Gefängnis geht, kommt es zum Bruch: Nach einem Jahr entlassen, besteht Marcello auf eine angemessene Entschädigung – erntet aber bloß 300 Euro und reichlich Spott. Und unter den Nachbarn ist er fortan ein verachteter Außenseiter. Umso sehnsüchtiger blickt er nun seinem großen Traum entgegen: Mit der Tochter Urlaub zu machen und sich idealerweise gleich in die Ferne abzusetzen.
Aber der Film mündet nicht in solch eine glückliche Flucht aus den tristen Lebensumständen, sondern steuert auf die Konfrontation mit dem einstigen Freund zu, an welchem sich Marcello mit einer List rächen will – und dabei eine Eskalation herbeiführt, die nur noch blutig & gewaltsam beendet werden kann. Am Ende wird „Dogman“ dann ähnlich kalt und dreckig wie „Gomorra“ (I 2008), Garrones vielgerühmter Mafia-Thriller.
Es ist diese zwingende Konsequenz – mit welcher der gutmütige, wenngleich etwas schlitzohrige Naivling Marcello in den Strudel der Gewalt hinein gerissen wird –, die dem Film seine eigenwillige Dramaturgie verpasst: Irgendwo zwischen Stan Laurel, Buster Keaton oder Woody Allen stehend, in einem früheren sonnigen Urlaubsort wohnend, aber letztlich verdammt, sich der – teils organisierten – Gewalt anzupassen, die das ganze Milieu durchdringt. Am Ende kulminiert diese Unangemessenheit, die schon früh den Film durchzieht: Die sympathisch-clowneske Hauptfigur verliert endgültig jegliche Unschuld. Wenngleich die Beschreibung es andeutet, gibt es einen konventionellen Spannungsbogen sowenig wie in Garrones früheren Arbeiten „Gomorra“ oder „Das Märchen der Märchen“ (I 2015). Hier bestimmt der langsame Absturz des tragikomischen Antihelden den Verlauf der spannungsarmen Handlung – was sich in der zunehmenden Verschlechterung der Wetterverhältnisse spiegelt.
Den zugrunde liegenden Kriminalfall hat Garrone dabei im Hinblick auf die Brutalität und den Sadismus ziemlich entschärft und ihn sich angeeignet, um zehn Jahre nach seinem Hauptwerk „Gomorra“ erneut von einem milieubedingten, zwangsläufigen Scheitern zu erzählen. So ist auch „Dogman“ ein tragischer, geradezu fatalistischer Film, welcher von einer Auswegslosigkeit inmitten der Umstände handelt: Nun jedoch ist es eine eigentlich komische Figur, die mit Körperbau, Mimik und Gestik vielmehr in die Reihe der großen Filmkomiker zu passen scheint, von denen Laurel & Hardy direkt zitiert werden. Ausgerechnet an ihr verhandelt Garrone die Übermacht des Milieus: Marcello ist kein Danny Rose („Broadway Danny Rose“; USA 1985; R: Woody Allen), welcher mit liebenswert läppischer Gestalt und erheiternder Furchtsamkeit das kriminelle Milieu seiner Umgebung ins Lächerliche abrutschen lässt, sondern ein Clown, der vom Kriminaldrama, vom Thriller vollkommen geschluckt wird.
Schockierte Garrone 2008 noch damit, dass – ganz realistisch – auch Kinder und Jugendliche im organisierten Verbrechen zerrieben werden, so ist es nun – sonderbar irreal – eine der Komödie entsprungene Figur, deren Komödiantenkörper, deren Komödiantenmentalität gänzlich deplatziert in den Sog eines von Gewalt durchsetzten Milieus gesteckt wird, wobei die befreienden Kräfte des Komikers hier nicht mehr wirken. Das ist die Tragik des Films: Eine komische Figur, die ohne Gespür für die sie umgebenden Zwänge optimistisch gestimmt ins Verderben schlittert.