Die Vorspanntitel sind unterlegt mit kurzen Filmszenen, die der Filmavantgardist Jonas Mekas von New York, Andy Warhol und seiner Factory-Entourage gemacht hat. Diese „Scences from the life of Andy Warhol“ sind knappe, flirrende Momentaufnahmen, die als Erinnerungen kurz aufscheinen und verlöschen. Viele Jahre später sitzt Warhols ehemalige Muse Nico (Trine Dyrholm), als umworbenes Model und eigenwillige Sängerin zur Ikone geworden, zum Interview in einer Radiostation im englischen Manchester. Sie wolle nicht mehr über ihre frühere Band The Velvet Underground sprechen. Sie habe 1968 vor allem viel LSD genommen. Jetzt, 1986, besteht sie gegenüber dem Interviewer auf ihrem Geburtsnamen Christa und ihrer Solokarriere, ihrer eigenen Musik, ihrem eigenen Leben. Und irgendwann später bekennt sie, die beschlossen hat, nicht mehr auf ihr Äußeres zu achten: „Ich war nicht glücklich als ich schön war.“
Susanna Nicchiarelli arbeitet in ihrem nach wahren Berichten entstandenen Film „Nico, 1988“, der am 30. Todestag der schillernden Künstlerin in die Kinos kommt, konsequent gegen eine nostalgische Verklärung oder mythische Überhöhung des Stars. Sie zeigt eine sperrige, unbequeme Sängerin, die sich mit ihrer finsteren Musik dem früheren Image entzieht und sich kompromisslos allen Erwartungen verweigert. Die italienische Regisseurin portraitiert die Titelheldin ihres außerordentlich intensiven Films darüber hinaus als eine innerlich zerrissene Frau, deren Kindheitstrauma sich gewissermaßen in ihrer eigenen, ziemlich problematischen Mutterschaft fortsetzt. Aufgewachsen in den Ruinen des zerbombten Berlin, sucht die 1938 in Köln als Christa Päffgen geborene Nico mit ihrem tragbaren Aufnahmegerät noch immer nach dem Klang der Kindheit: dem „Sound des bombardierten Berlin“.
Dieser „Klang des Besiegt-Werdens“ grundiert Nicos düstere, von ihrer dunklen Stimme getragene Musik und verleiht zugleich Susanna Nicchiarellis Film einen nüchternen, realistischen Erzählton, in den sich auf der Bildebene immer wieder augenblickshafte Visionen und traumähnliche Sequenzen mischen. Ihr stark verdichtetes Roadmovie konzentriert sich dabei auf die letzten Lebensjahre der Künstlerin mit Stationen in Italien, Prag und Deutschland. Illusionslos schildert Nicchiarelli Nicos Drogensucht, aber auch ihre Ekstasen und Sehnsüchte.
Unberechenbar und widersprüchlich äußert die Sängerin an einem ihrer schockierenden Tiefpunkte, an denen sie sich schon mal Backstage ganz offen Heroin spritzt oder wütend über das Spiel ihrer Bandkollegen ein Konzert abbricht: „Ich interessiere mich nicht mehr für Musik.“ Die dänische Schauspielerin und Sängerin Trine Dyrholm, die übrigens alle Lieder selbst singt, verschmilzt in ihrer ungewöhnlichen Performance mit der Figur, deren Exzessen und Abgründen. Man müsse „Kraft finden in dem, was für uns zurückbleibt“, interpretiert Nicos Manger Richard (John Gordon Sinclair), der als väterlicher Freund zugleich heimlich in sie verliebt ist, einmal Zeilen des englischen Dichters William Wordsworth. Im Grunde zielt Nicchiarellis entschlackter, wohltuend sachlicher Film ins Offene eines Lebens kurz vor seinem Ende. Und findet darin eine Frau und Künstlerin auf dem Weg zu sich selbst.