Flirrende, bläuliche, unwirkliche Lichteffekte. Spiegelbilder in Scheiben, die sich nicht an der gespiegelten Person orientieren. Sinneseindrücke, die sich als – echter oder vermeintlicher – Alptraum entpuppen. Personen, die sich nach genauem Hinsehen doch bloß als Möbelstück erweisen – was bisweilen an Polanskis „Le locataire“ (FR 1976) erinnert, wo ein Stuhl im Fieberwahn doch nicht so ganz seinem Anblick entspricht. Dort mutiert auch ein harmloser Spielball in der Wahnvorstellung des Protagonisten zum abgetrennten Kopf. In „Hereditary“ wird man Zeuge einer solchen Umwandlung in umgedrehter Reihenfolge.
Überhaupt steckt – wenngleich auch Fellinis Poe-Verfilmung („Außergewöhnliche Geschichten“; IT/FR 1968; Segment „Toby Dammit“) und deren Vorbild Mario Bava Pate gestanden haben mögen – viel Polanski im „Hereditary“: „Rosemary’s Baby“ (USA 1968) macht sich am stärksten bemerkbar, wenn sich die weibliche Hauptfigur von ihrem Mann unverstanden wähnt, wenn sie immer wieder von einer aufdringlichen, freundlichen, älteren Dame umsorgt wird, wenn sich das okkulte Treiben immer deutlicher Bahn bricht.
Was „Hereditary“ mit diesen Polanskis – und mit seiner losen Mieter-Trilogie insgesamt – eint, ist das Spiel mit dem Wahn, mit einer vermeintlichen oder echten Paranoia der Figuren. „Hereditary“ besitzt allerdings vordergründig eine Eindeutigkeit, die man eher aus Polanskis letztem reinen Horrorfilm „The Ninth Gate“ (ES/FR/USA 1999) kennt. Die tote Mutter, die immer einen männlichen Enkel ersehnt hat; der Sohn, der trotz aller versuchten Schwangerschaftsabbrüche zur Welt gekommen ist; die okkulten Symbole, die immer wieder auftauchen – alles nimmt seinen schicksalhaften Lauf, der sich teilweise an H. P. Lovecrafts populärer Horrorstory „The Thing on the Doorstep “ (1937) orientiert, lange Zeit aber vor allem als abgründiges Familiendrama ausgibt.
Es beginnt mit der Beerdigung von Annie Grahams Mutter, mit der sie – woran ihre Grabrede keinen Zweifel lässt – eine eher schwierige Beziehung pflegte. Im Nachlass der Toten befinden sich diverse okkulte Bücher: eines davon verziert mit einem Symbol, das nun immer häufiger im Umfeld der Familie auftaucht – was aber zunächst bloß der Kamera und dem Kinopublikum auffällt. Die gehandicapte Tochter verhält sich in der Folgezeit immer sonderbarer und einen Schicksalsschlag später ist es auch um den Geisteszustand des Sohnes schlecht bestellt: was nicht zuletzt mit den Séancen zusammenzuhängen scheint, die Annie von einer neuen Freundin erlernt hat. Bald keimt in ihr der Verdacht, dass unheilvolle Dinge vor sich gehen. Doch ihr Mann, mit welchem sie einst einen heftigen Ehezwist hatte, sorgt sich eher um die geistige Gesundheit seiner Frau – zumal sie sich schon vor Jahren als Schlafwandlerin ausgesprochen bedenklich verhalten hatte.
Und weil der Film immer wieder mit Albtraumbildern und flüchtigen Sinneseindrücken spielt, nimmt ein Wahn- & Paranoia-Aspekt zunächst großen Raum ein – auch wenn früh gesäte Hinweise auf Unheilvolles dem Publikum und nicht unbedingt den Figuren dargeboten werden. Gegen Ende aber ereignet sich das Übernatürliche immer drastischer und eindeutiger. Doch wie gesagt trügt der Schein in diesem Paranoia-Horrorthriller. Hier herrscht der Wahn und vielleicht verlieren deshalb so viele Lebewesen ihren Kopf in dem Film, weil es gerade darum geht, nicht seinen Kopf zu verlieren, Wahn und Wirklichkeit sauber zu scheiden. Deshalb ist womöglich letztlich doch nicht alles so eindeutig übernatürlich, wie es am Ende zu sein scheint. Denn der Film setzt immerhin mit dem Geschehen innerhalb eines Puppenhauses ein, welches Annie neben vielen weiteren Miniaturmodellen als Abbild der umgebenden Wirklichkeit für eine geplante Kunstausstellung hergestellt hat. Es wirkt einige Zeit so, als ginge es um eine Figur, die mit ihrem Uhrmacher-Okular ganz genau hinschaut und ihre Umgebung dennoch viel zu spät durchschaut.
Doch man kann den Film, der gegen Ende hocheffektiv zum – im positiven Sinne – perversen Alptraum gerät, auch ganz anders lesen. Als Imagination im künstlichen Miniatur-Raum, im kreativen Werk der Hauptfigur, die ihr ungesundes Familienleben in eine monströse Horrorstory umformt: Wir sehen gewissermaßen bloß, was eine Künstlerin – getrieben vom zerrütteten Familienleben – in ihr Werk hineinprojiziert. Ein – ihre Wirklichkeit verarbeitendes – Puppenspiel. Eine Lesart, welche den positiven Nebeneffekt mit sich bringt, dass die (eben nur scheinbare) Eindeutigkeit des Übernatürlichen am Ende nicht zusammenbrechen lässt, was der Film zuvor als durchaus sozialkritisches, rabenschwarzes, leicht satirisches Familiendrama aufgebaut hat. Und darin ähnelt „Hereditary“ dann einem anderen jungen und stark gehypten Horrorfilm – nämlich „The VVitch“ (USA 2015; Regie: Robert Eggers), der ebenfalls zunehmend eindeutiger zu geraten schien, letztlich aber konsequent die Innenperspektive des Hexen-Wahns wiedergibt und mit dem sich „Hereditary“ die Verbeugung vor Kubricks „Shining“ (1980) aufgrund des avantgardistischen Soundtracks und dem Entsetzen vor nackten Leibern welker Vetteln teilt.