Die Weltherrscher von Industrie und Kapital preisen das unendliche Wirtschaftswachstum. Die Unendlichkeit bietet weit mehr als ein nur tausendjähriges Reich. Wo bleiben in diesem Interviewfilm von Florian Opitz („Speed“, „Der große Ausverkauf“, „Akte D“) die Einwände? Die Umweltschützer, die Wistleblower, die Mahner, die auf die Endlichkeit der Erde verweisen, die Tatkräftigen, die im Hinterhof ihr Kraut züchten, die Filmer, die uns den brennenden Urwald und die riesigen Sojafelder in Brasilien zeigen, die neuen Veganen, die sich gegen die Massentierhaltung wenden – sie alle kommen nicht vor. Ist das der Systemfehler? Sicherlich nicht. Wir kennen alle die Einwände gegen die Unendlichkeit des Wirtschaftswachstums. Der Film ruft sie energisch auf. Er arbeitet mit dem, was wir eh im Kopf haben.
Aber haben wir ein Rezept gegen die Unendlichkeitsfetischisten des Kapitalismus? Gegen die Player der Hedge Fonds? Gegen Trumps Exberater Anthony Scaramucci, gegen Andreas Gruber, Chefinvestor der Allianz, gegen Carlos Capeletti, größter Massenhühnerhalter Brasiliens? Sie alle haben ihren Auftritt im Film, und wir haben keinen Plan. Opitz vermeidet folgerichtig und mit Erfolg, eine Lösung anzubieten, gar ein Manifest, einen Aufruf. Wer jetzt gefordert wird, das sind wir, Filmzuschauer. „System Error“ aktiviert uns, uns zu dem, was wir eh im Kopf haben, einen Gedanken zu machen: zu unser aller Zukunft und anderem als dem Wirtschaftswachstum. Der Kapitalismus begreift sich als unabänderbar? Quasi als göttliches Gesetz? Hilfe! Wir brauchen Karl Marx! Seine Sätze werden in „System Error“ zur Leitfigur. Jeweils ein Satz, weiß auf schwarzem Grund, als Zwischentitel.
Ja, Ende der Neunziger des vergangenen Jahrhunderts hat es begonnen. Marx drang wieder ins Bewusstsein ein. Vor ein paar Jahren bildete sich in Neukölln wieder ein Kapital-Lesekreis. (Ich vermeide mal das Wort Basislektüre.) Ich schreib’ das jetzt nur, um auf Lenin zu kommen, der gleich nach seiner Abreise aus Zürich – vor ziemlich genau 100 Jahren – den volkswirtschaftlichen Teil des Buchs als brauchbar für den entstehenden Sozialismus fand. Der Kapitalismus ist eben keine feststehende Größe, mehr so etwas wie Entstandenes und Vergehendes. Denk’ ich doch.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret