Eine Atmosphäre latenter Gewalt und atemloser Spannung durchzieht diesen Film, der von Beginn an seine Zuschauer verunsichert. Die Irritation resultiert dabei zunächst aus einer fragmentierten Bildererzählung, die Disparates vereint und gegen einen Zusammenhang zu arbeiten scheint, indem sie Handlungsausschnitte der erzählten Gegenwart mit Erinnerungssplittern verbindet. Die Groß- und Detailaufnahme dient dabei als zentrales stilistisches Mittel der filmischen Abstraktion. Im Close-up ist das Nahe fern, entzieht sich das Sichtbare der Identifizierbarkeit. Unterlegt mit den hypnotischen Sounds und den gegenläufigen Rhythmen des vom Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood komponierten Soundtracks, kreiert die schottische Regisseurin Lynne Ramsay in ihrem preisgekrönten Thriller „A beautiful day“ (engl. Titel „You were never really here“) ein assoziativ gebautes Raum-Zeit-Kontinuum. Dieses scheint zunächst abgelöst, ja abgeschlossen von der Realität, obwohl es durchsetzt ist von flirrenden Bildern der Großstadt New York als Mitspielerin.
Tatsächlich aber spiegelt sich in ihm das traumatisierte Innenleben der männlichen Hauptfigur. Joe (Joaquin Phoenix) ist ein geheimnisvoller, schweigsamer Einzelgänger, der seinen finsteren Blick hinter Kapuze und Bart versteckt und mit einem schleppenden Gang unterwegs ist. Offensichtlich hat der äußerlich selbstsicher und cool wirkende Mann gerade einen blutigen Auftrag erledigt, nach dem er kurz und knapp ins Telefon nuschelt: „It’s done.“ Joe wirkt wie ein harter, furchtloser Kämpfer. Doch sein wuchtiger, mit großen Narben übersäter Körper sowie die wiederholten Flashbacks seiner Alpträume weisen ihn als physisch und psychisch Versehrten aus. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es sich Joe, der noch bei seiner alten Mutter (Judith Roberts) wohnt, zur Aufgabe gemacht hat, gegen Bezahlung minderjährige Mädchen aus den Fängen von Zuhältern und Bordellbetreibern zu befreien. Als Mann mit Prinzipien geht er dabei nicht nur sehr konzentriert und präzise vor, sondern auch äußerst brutal. Doch Lynne Ramsays Filmsprache setzt auch hier auf Distanz und meidet die visuellen Klischees des Genres.
Stattdessen erkundet sie einen individuellen psychischen Raum, dessen vermeintliche Stabilität zunehmend bedroht wird und dessen systematische Selbstkontrolle sich nur noch schwer aufrecht erhalten lässt. Als Joe die minderjährige Nina (Ekaterina Samsonov), Tochter eines hochrangigen Politikers, aus einem New Yorker Luxusbordell befreit, sieht er sich plötzlich mit einem übermächtigen Feind konfrontiert. Er wird selbst zum Gejagten, in dessen Umfeld mehrere Kontaktpersonen sowie seine Mutter brutal ermordet werden. Doch in Lynne Ramsays düsterem Rache-Thriller, der Gegenwärtiges an Vergangenes bindet, ist diese blutige Spur des Todes kein Anlass für auf Action basierte Gewalt. Vielmehr formt die Regisseurin aus den Koordinaten der Verbrechen eine Schlinge, die sich um den müden Körper des innerlich gebrochenen, isolierten Protagonisten legt, der wie die von ihm befreiten schutzlosen Opfer seinerseits der Erlösung bedarf. Im jeweils anderen finden der kinderlose Mann und das elternlose Kind schließlich einen Ersatz für die entbehrte Geborgenheit einer funktionierenden Familie und damit einen Funken Hoffnung inmitten eines ungewissen Aufbruchs.