„It´s not Unusual“ war 1965 einer der größten Erfolge von Tom Jones und zählt mit einer Länge von 1:58 zu den kürzesten Superhits der Musikgeschichte. Es kann kein Zufall sein, dass dieses Lied 1990 in Tim Burtons „Edward Scissorhands“ zu hören war und in „Mars Attacks!“ zweimal an exponierter Stelle ertönt: Auf dem Höhepunkt der Alien-Invasion, als Marsmännchen Las Vegas verwüsten, singt Tom Jones es höchstpersönlich auf der Bühne eines Casinos, wie er das im wirklichen Leben auch gerne tut. Nach erfolgter Weltrettung sieht man den Sänger in idyllischer Landschaft, umringt von Rehlein, einen Falken auf dem Arm; in der letzten Einstellung beginnt er, zum Intro seiner Hymne zu shaken, und unter den Klängen von „It´s not Unusual“ wird man vom Abspann entlassen. Dass das alles nicht ungewöhnlich ist, liefert eine Art Programmatik zum knallbunten Treiben in „Mars Attacks!“.
Ungewöhnlich wäre es, wenn Hollywood dem Erfolg von „Independence Day“ nicht weitere Filme aus dem SciFi-Subgenre des Invasionsspektakels nachgeschoben hätte. In der Tat erwarten uns einige einschlägige Machwerke, und „Mars Attacks!“ brilliert durchaus als Parodie zum Trend. Obrigkeitsglaube, Militarismus und Patriotismus, in Roland Emmerichs Blockbuster deftig beschworen, werden auf sympathische Weise desavouiert: Der US-Präsident ist ebenso durchtrieben wie von der Lage überfordert, sein Stab gibt ihm einen verhängnisvollen Rat nach dem anderen, und der militärisch-wissenschaftliche Komplex (personifiziert vom atomschlagbesessenen General und vom seelenruhig Pfeife rauchenden „Experten“) erweist sich als hilflos.
Allerdings war „Mars Attacks!“ schon vor „Independence Day“ in Produktion, und Tim Burton zielt, anders als etwa die Zucker-Brüder, nicht direkt auf die Persiflage gängiger Genre-Klischees ab – was nicht heißt, dass er diese nicht in ihrer Substanz trifft. Die Begegnung mit dem Fremden, zentraler Topos des fantastischen Kinos, erfährt eine drastische Wendung: Die Ikonographie ohnmächtigen Staunens (inkl. aufgerissene Augen und Münder), mit der ein Spielberg seit „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ diverse Konfrontationen mit dem Nicht-Menschlichen inszeniert, wird radikal umgekehrt, und der verbohrte Pragmatismus eines Emmerich, dem auch der Weltuntergang nur ein kniffliges Problem ist, ins Haarsträubende überhöht.
In „Mars Attacks!“ wird alles, nur nicht gestaunt. Ein Gutteil des Humors rührt von der Unbeirrbarkeit, mit der die Erdlinge gegenüber den Aliens an routinierten Verhaltensweisen festhalten und sie in den Horizont ihrer Interessen einbauen: Der Präsident (Jack Nicholson) nützt die Chance auf Publicity und hält floskelreiche Reden; der Hotelier in Las Vegas (ebenfalls Jack Nicholson, unkenntlich im knalligen Cowboy-Outfit) hofft, dass die Ankömmlinge ein Quartier brauchen werden; die Fernsehleute wittern die Story ihres Lebens, und die Gambler fühlen sich beim Glücksspiel gestört.
Dass die Menschheit agiert, als wäre die Invasion nichts Ungewöhnliches, und nur durch Zufall vor der Vernichtung gerettet wird, gibt dem Film sein Plot-Gerüst. Ausstaffiert wird es durch eine Unzahl rasant zwischen Washington, Kansas und Las Vegas alternierender Szenen, die den amerikanischen Volkskörper ins vertraute Spektrum klischierter Kleingruppenschicksale aufgliedern – verkörpert von mittel- bis großen Stars: Pierce Brosnan, Annette Benning, Sarah Jessica Parker, Rod Steiger, Michael J. Fox, Danny DeVito, Jim Brown, Pam Grier und Glenn Close als First Lady. Mit ihrer grandios schmierenden Typenkomik sind sie ebenso Darsteller wie Ornamente in einem Muster. Das erinnert an Katastrophenschinken, von denen auch „Independence Day“ zehrte, mehr noch an Altman-Filme à la „Nashville“: die (Wieder-)Geburt einer Nation im melting pot Tausender Tics und Spleens. In „Mars Attacks!“ gibt es kaum Figuren, die keinen Huscher haben, und auch das ist ja in Amerika vielleicht nichts Ungewöhnliches.
Und die Marsmenschen? Erstaunlicherweise sind sie genauso, wie man es erwartet: Klein, grün, boshaft, mit Riesenhirnen und spritzpistolesken Lasern ausgestattet, kommen sie in fliegenden Untertassen angereist. Zwar gemahnen Teile des Dekors in schreiendem Kolorit an Design-Sünden der 70er Jahre, doch die vorrangigen Bezüge des Films führen zur Blüte des Invasionsgenres in den 50ern, zu grenzdebilen Klassikern wie „War of the Worlds“ oder „Earth vs. the Flying Saucers“ (direkte Vorlage allerdings ist eine Sammelkarten-Serie aus Kaugummipackerln von anno 62).
Tim Burton wühlt gern im populärkulturellen Müll: Vom Trickfilm kommend, macht er aus Comic-Stoffen Blockbuster wie die beiden ersten Batman und aus Motiviken infantiler Monster-Begeisterung verquere Melodramen wie „Edward Scissorhands“ oder das Puppentrick-Grusical „Nightmare Before Christmas“. Das ist im nachklassischen Hollywood nichts Besonderes: Etiketten wie „Trash-Ästhetik“ und „Kult“ sind rasch zur Hand in einem Kino, das der Wiederverwertung alter B-Film- und Fernseh-Materialien frönt und eine zwischen gourmethaftem Eh-Schon-Wissen und nostalgischem Immer-noch-glauben-Wollen gespaltene Rezeptionshaltung bedient.
Allerdings kommt Burtons Fusion von Spielzeugfanatismus und Pop-Expertise ohne jenen bombastischen Hang zum Ultimativen aus, der Spielberg und Emmerich inspiriert: „Mars Attacks!“ versucht nicht, fliegende Untertassen auf den heutigen Stand von Imagination und Technik zu hieven, damit es noch einmal richtig beeindruckend wird, sondern verbeißt sich liebevoll ins absurde Unterfangen, den Look und die Spektakel von damals mit der Maschinerie von Industrial Lights & Magic originalgetreu zu rekonstruieren. Einige Spezialeffekte von „Mars Attacks!“ sind bizarr, andere jedoch ob ihrer gezielten Einfallslosigkeit charmant, und der narrative Organismus zerfleddert bereitwillig, um sie alle gebührend auszustellen.
Ob Burton ein großes Kind mit Millionenbudget ist, sei dahingestellt; jedenfalls sind seine Gags mitunter kindisch, und es fehlt ihm jene ironische Distanz, die „Mars Attacks!“ zur Schund-Persiflage (oder gänzlich zur Altmanschen Sozialsatire) gemacht hätte. Dass es für ihn an den Genre-Marginalien, die er ins Zentrum rückt, nichts zu verbessern oder zu verspotten gibt, hat schon sein voriger Film „Ed Wood“ demonstriert, der dem Schaffen des dilettantischen No-Budget-Regisseurs von Monster- und Invasionsfilmen recht ernsthaft Tribut zollte – so als wäre Wood ein ganz normaler gescheiterter Filmemacher. Wer weiß? Vielleicht ist das alles wirklich ganz normal: Buben mit Scherenhänden sind auch nur einsame Teenager, Nightmare-Monster wollen auch nur Weihnachten feiern, ein UFO sieht letztlich nicht anders aus als alle anderen, und Tom Jones singt sein Lied dazu.
Dieser Text erschien zuerst in: Falter #9, 1997