Die dreistündige Kinofassung vergeht wie im Fluge. Die lange Version dauert mehr als das Doppelte. „Wer war Hitler“ anzugucken ist eine Befreiung. Unsere sattsam bekannten Volksbelehrer und -innen hatten keinen Zutritt. Auch weil sie das und jenes nicht unkommentiert hätten stehenlassen. Im Vordergrund stehen Originalbilder und -filme aus den Jahren bis 1945, darunter erstaunlich viel Material aus weit mehr als hundert Archiven aus aller Welt von Russland bis USA, vor allem aber aus privater Hand. So etwas wie Interviews und Statements sind nicht dabei. Was zu den Bildern gesagt wird, ist eine Quellenangabe, zum Beispiel ein Tagebucheintrag. Die Bildsprache, immerhin ureigenste Sache des Mediums Film, führt zu einem ungleich stärkeren Erlebnis als Schriftzeichen oder pädagogischen Zwecken dienende Wortbeiträge – die bisher bei der sogenannten Aufarbeitung der Nazi-Zeit unerlässlich schienen.
Hitler tritt in diesem Film ständig in Erscheinung: vom Kleinkind um 1890 bis zum zitternden Selbstmörder 1945. Der Effekt ist, dass wir seine Veränderung vom verunsicherten Außenseiter bis zum größenwahnsinnigen Massenmörder selbst wahrnehmen können, ohne dass sie uns eingeredet wird. „Wer war Hitler“ ist auf diese Weise medial modern. Wenn das Beispiel erlaubt ist: Das Magazin „Geo Epoche“ stellt in seinen Themenheften mit verdientem Erfolg die Fotostrecken in den Vordergrund.
Sieht man den Film, stellt sich irgendwann, behaupte ich mal, ein Aha-Erlebnis ein, das uns nicht eingebleut worden ist. Wie war das noch? Der Populist ergreift die Macht, nachdem er Anfang der dreißiger Jahre in der bürgerlichen Mitte angekommen ist? Militär und Industrie standen bereit? Für ein junges Gesicht (Hitler war 37)? Für einen, der volksnah zu reden wusste, der durch seine Person eine Alternative zur Parteimüdigkeit und zur „Schwatzbude“ Reichstag bot, wie es damals allgemeiner Sprachgebrauch war?
Wohlgemerkt: „Wer war Hitler“ schlägt solche Themen mitnichten an, aber es macht meine Wahrnehmung dafür frei. Deshalb: ein Film, der zur rechten Zeit kommt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret