Anna, Sandro und Claudia nehmen an einem Bootsausflug von Freunden teil. Sandro ist mit Anna liiert, Claudia ist eine Freundin von Anna. Man ist heiter und beschwingt. Die Sonne scheint. Nur Anna badet sich in Zweifel. An einer kleinen steinigen und unbewohnten Insel gehen die Ausflügler an Land. Anna geht spazieren und verschwindet spurlos. Eine erste Suche der konsternierten Freunde bleibt erfolglos. Annas Vater schaltet die Polizei ein. Taucher werden auf die wenige Quadratmeter große Insel entsendet. Ein Selbstmord Annas wird in Erwägung gezogen. Doch die Taucher finden keine Leiche. Sandro und Claudia begeben sich nach Sizilien. Ein Reporter will Anna gesehen haben, Bewohner machen Andeutungen, aber die wenigen Spuren verlaufen allesamt im Sande. Auf der weiteren Suche nach Anna werden Sandro und Claudia selbst ein Paar. Am Ende betrügt Sandro Claudia in einem Hotel mit einer Prostituierten. Anna bleibt verschwunden.
Michelangelo Antonionis 1960 entstandener Film „L’avventura“ beginnt durchaus wie ein Kriminalfilm, doch die Frage nach dem Verschwinden der potenziellen Hauptfigur tritt schon bald in den Hintergrund. Zwar kommt das Gespräch immer wieder auf Anna, ihr Verschwinden bleibt jedoch ohne Aufklärung. In seinem sechsten Langspielfilm vollführt der italienische Regisseur damit einen Bruch mit dem klassischen Erzählkino, den er schon in seinen früheren Filmen angedeutet hat, von nun an aber jedes seiner Werke bestimmen wird. Er verzichtet, trotz herkömmlicher narrativer Konstellation zu Beginn des Filmes, auf eine Lösung und setzt an ihre Stelle, wie Umberto Eco schreibt, „eine Reihe von Ereignissen (…), zwischen denen kein dramatischer Zusammenhang im konventionellen Sinn besteht, eine Erzählung, bei der nichts geschieht oder Dinge geschehen, die nicht mehr das Aussehen eines Erzählten, sondern nur mehr eines zufällig Geschehenen haben.“ Und bereits die erste Szene gibt mehr als deutlich Auskunft von dieser Entwicklung: Anna schreitet anmutig (wie es Filmfrauen nur in dieser Phase des Kinos konnten) über den befestigten von Hecken umrandeten Weg einer Villa. Vor den Toren öffnet sich die karge Wüste der Moderne. Im Hintergrund werden Wohnsiedlungen gebaut. Baugruben, Unkraut und Schutt bestimmen das Bild. Anna tritt auf unsicheren Schotter. Die Villa, so bemerkt ein Bauarbeiter, der sich mit Annas Vater unterhält, wird bald umstellt und eingeengt sein. Dass sich die Erzählung verlieren wird, ist diesen ersten Bildern und Sätzen so immanent wie die Gewissheit, dass mit Annas Leben etwas ganz und gar nicht stimmt.
„Wenn die Natur zerstört ist“, fragte Antonioni anlässlich seines Filmes „Il deserto rosso“ (IT, 1964), „sind dann auch unsere Gefühle zerstört?“ Und natürlich haftet diesem Interpretationsansatz bezogen auf „Il deserto rosso“ ein eindeutiger ökologischer Impetus an. Doch lassen sich Landschaften in Antonionis Filmen prinzipiell mit Gefühlszuständen in Zusammenhang bringen. Sie bilden in seinen Filmen sogar nicht nur innere Zustände ab, sie sind fast schon Voraussetzung für die Gefühle überhaupt. In „L’avventura“ ist es neben den ersten Schritten Annas vor allem die Kargheit der Insel, auf der sie verloren geht, die die Gefühlswelt der Protagonistin nicht nur beschreibt, sondern ihr Verschwinden wahrscheinlich erst provoziert. Es sind also der Film und seine Drehorte selbst, die Anna aus dem Material herausdividieren. Die Umgebung verweist hier von Anfang an auf ein Ende, eine Sackgasse.
In einem Dialog von „Professione: Reporter“ (IT 1975) lässt Antonioni seinen Protagonisten (Jack Nicholsen) sagen: „People disappear every day“. Bereits mit „L’avventura“ wird das Verschwinden zentrales Motiv im Werk Antonionis. Menschen gehen verloren, tauchen nicht mehr auf, und mit ihnen verschwinden auch die möglichen Enden der Filme. Am Schluss geschieht nichts mehr, die Narration scheint wie eingefroren. Weder wissen wir in „L’avventura“, was aus Anna geworden ist, noch erfahren wir, wie es mit Sandro und Claudia weitergeht. Es entsteht eine Lücke, die sich auch im Nachhinein nicht schließen lässt. Diese Lücke macht die erzählerische Provokation des Filmes aus. Es entsteht ein Zustand des „Nicht-Mehr“ (Sandro betrügt Claudia) und des „Noch-Nicht“ (denn wir wissen nicht, was aus den Figuren wird). Für den Zuschauer bedeutet dies zum einen, dass es an ihm ist den Faden weiterzuspinnen. Der Film verlängert sich selbst also in den Kopf des Betrachters hinein. Zum anderen veranschaulicht diese Setzung des Filmendes die Künstlichkeit filmischer Erzählung im Allgemeinen. Antonioni unterstreicht diesen Interpretationsansatz, indem er „L’avventura“ in der Morgendämmerung enden lässt, einem Zustand des Übergangs also, der für seine folgenden Filme zum typischen Merkmal wird.
Das Verschwinden ist in seiner Rätselhaftigkeit und Willkürlichkeit jedoch allem voran eine Metapher für das undefinierbare Ende einer Beziehung, das nie wirklich ein Ende bedeutet, immer aber den Anfang von etwas Neuem, in das das Vergangene seine Schatten wirft. Im Grunde genommen schauen wir in „L’avventura“ der Ambivalenz einer sterbenden Liebe beim Atmen zu. Mit 23 Jahren, als ich den Film zum ersten Mal sah, konnte ich all das nicht verstehen. Die schmerzvollen Blicke, die doch noch Küsse zuließen, die Anziehung, die die Abstoßung immer schon in sich trug. Heute, mit 37 Jahren, ist auch mir klar, was es bedeutet, wenn die Liebe dissonante Züge bekommt, wenn ein furchtloser Anfang und eine ratloses Ende sich treffen. Wenn sich plötzlich, weil im Sterben die Zeit unerbittlich komprimiert wird, Verlieben und Aufgeben direkt in die Augen sehen und nicht mehr verstehen können, was dazwischen alles geschehen ist. So wie Anna, kurz bevor sie verschwindet, um Sandros Verständnis bittet und sagt, dass sie ihn liebt und zugleich abstoßend findet. Und auch Claudia umtreibt diese Gefühle wenig später. Was übrig bleibt ist die Empfindung, dass das Ende niemals ein Ende ist, ein Abschluss immer auch Möglichkeiten impliziert, mit denen man zurechtkommen muss, sich richtig und falsch als eindeutige Kategorien nicht mehr auseinanderhalten lassen. Die Offenheit des Endes von „L’avventura“ transportiert diese ganze Unbegreiflichkeit und Überforderung des Scheiterns.
Und weil dieses Absterben in seiner unerhörten Länge von beinahe zweieinhalb Stunden nur schwer zu ertragen ist, schnitt der deutsche Gloria-Verleih 1960 satte dreiundvierzig Minuten aus dem Film heraus. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man es fast schon als Geniestreich bezeichnen, einem Film über das Verschwinden auch noch ganze Szenen zu stehlen. Und wie schön wäre das, wenn man die eigenen Erinnerungen und die Gedanken an eine unmögliche Zukunft aus dem Bewusstsein herausschneiden könnte, weil sie irreparablen Schaden anrichten und einen Heilungsprozess, ein Loslassen nur unnötig erschweren. Aber andererseits würde man damit auch das Kunstwerk einer einmaligen Liebe zerstören.