„Wer sich dem Geist nähert, wird seine Wärme spüren und sein Herz wird sich in neue Sphären erheben“, heißt es in der berühmten Pfingstpredigt des heiligen Antonius aus dem Jahre 1222. Der portugiesische Filmemacher João Pedro Rodrigues stellt dieses Wort als Motto an den Anfang seines neuen Films „Der Ornithologe“. Daraufhin folgen Bilder, in denen die Natur zur reinen Gegenwart wird; und in denen sie in Gestalt von Vögeln zurückblickt auf den Menschen. Diese Interaktion zwischen Blick und Gegen-Blick bestimmt das Verhältnis zwischen dem titelgebenden Ornithologen und den Vögeln, die er durch sein Fernglas beobachtet. Wobei der jeweilige Wechsel in die subjektive Perspektive den Zuschauer zum Mitbeobachter des jeweils anderen macht. Der stark und sehr männlich wirkende Fernando (Paul Hamy), der als gut angepasster Naturforscher einen intensiven Umgang mit den Elementen pflegt, ist andererseits auf die Vermittlung seines Vergrößerungsglases angewiesen. Zwischen Nähe und Distanz bleibt sein Verhältnis zur Natur also zunächst ambivalent.
Das ändert sich, als er auf seiner vogelkundlichen Expedition in einer abgelegenen Flusslandschaft im Norden Portugals mit seinem Kajak in Stromschnellen gerät und kentert. Im weiteren Verlauf der nach einzelnen Stationen gegliederten Handlung, die gleichermaßen eine Odyssee und eine Selbstsuche beschreibt, scheint Fernando mehrere Tode zu sterben. In der vom Leben und von den Legenden des heiligen Antonius inspirierten Geschichte, die phantasievoll und natürlich die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Überlieferung und Mythos überschreitet, ist Fernando zunächst eine Wasserleiche, die von zwei chinesischen Pilgerinnen zum Leben erweckt wird. Weil der bekennende Atheist aber kurz darauf in Fesseln erwacht und bekehrt werden soll, entzieht er sich heimlich der Folter durch einen Akt der Selbstbefreiung. Rodrigues zitiert hier die Ikonographie der Märtyrer-Darstellungen.
Der Weg zurück zum Ausgangspunkt wird daraufhin für Fernando zu einem Weg der Verwandlung, wobei er sich unterwegs durch einen magischen Wald immer mehr von seinem alten Leben löst. „Hier geht etwas Seltsames vor sich“, spricht er bald darauf in sein Diktiergerät. Nachts beobachtet er ein wüstes, heidnisches Stammesritual; am Tag darauf begegnet er einem taubstummen Ziegenhirten namens Jesus (Xelo Caglao), mit dem er eine zärtliche Liebe erlebt und an den ihn zugleich eine schmerzliche Schuld kettet. Um sich von dieser zu befreien, muss sich Fernando aber erst in António (gespielt von Rodrigues selbst) verwandeln. Diesen Prozess erfährt er als „unergründliches Geheimnis“ der Neugeburt, in deren Verlauf er zu den Fischen predigt („Warum sucht ihr nicht nach klaren Gewässern?“) und den toten Jesus, der jetzt in der Rolle des zunächst maskierten (ungläubigen) Tomé erscheint, zum Leben erweckt.
„Ich wollte herausfinden, wie der heilige Antonius in mir existiert“, hat João Pedro Rodrigues über seine spirituelle filmische Selbstsuche gesagt. „Ich bin nicht mehr derselbe“, bekennt wiederum sein Alter Ego am Ende des Films; und fühlt sich zugleich in einem ganz säkularen Sinn befreit für die (gleichgeschlechtliche) Liebe.