Flow

(LV/FR/BE 2024; Regie: Gints Zilbalodis)

Die Arche des Überlebens

Der Blick in den Spiegel zieht sich leitmotivisch durch Gints Zilbalodis‘ jüngst mit dem Oscar ausgezeichneten Animationsfilm „Flow“. Umgeben von Wald und seinen vielfältigen Geräuschen, blickt eine dunkle Katze mit ihren großen, dominanten Augen für einen langen Moment in eine Wasserpfütze. Sieht sie sich selbst und mit Bewusstsein? Ist es ein Augenblick der Selbsterkenntnis, der ängstlich auch eine ungewisse Zukunft einschließt? Die Gefahren des Waldes und durch andere Tiere sind jedenfalls stets präsent, auch wenn die tierische Heldin eigentlich im verlassenen Haus eines Künstlers lebt, dessen Katzenskulpturen markant in die Höhe ragen. Als die Katze bei Rangeleien um einen Fisch von einem Rudel Hunde verfolgt wird, ist die Gefahr in ihrem Rücken bald kleiner als diejenige, der sie entgegenrennt. Denn mit lautem Grollen und Getöse überschwemmt eine riesige Flutwelle das Land und reißt alles mit sich. Noch kann sich die Katze in ihr angestammtes Heim flüchten. Doch dann versinkt auch dieses im Wasser.

Unglaublich dynamisch und plastisch hat der lettische Filmemacher Gints Zilbalodis sein dystopisches Abenteuer um den spannenden Überlebenskampf einer Gruppe von Tieren inszeniert. In langen, bewegten Einstellungen folgt er ihren Irrfahrten durch die ebenso reale wie phantastische Zwischenwelt aus Wasser und einer versinkenden Natur. Diese führen durch Berglandschaften und antike Ruinenstädte, deren Säulen und Skulpturen aus den Fluten ragen. Faszinierende Unterwasserbilder und atmosphärische Naturstimmungen unterstreichen zusätzlich den schmalen Grat zwischen Traum und Wirklichkeit, der sich in einer besonders markanten Szene ins rein Phantastische einer unbestimmten Transzendenz auflöst. Der vollständige Verzicht auf Dialoge sowie ein nur sparsamer Musikeinsatz lenken die Aufmerksamkeit überdies auf Geräusche und die von einer beseelten Mimik begleitete Kommunikation durch Tierlaute. Schließlich müssen die sich so unterschiedlichen Schicksalsgenossen irgendwie verständigen, um zu einem gemeinsamen Handeln zu finden.

Auf einem kleinen, leicht maroden Segelboot, das gewissermaßen als Arche Noah des Überlebens fungiert, versammeln sich mit der vorsichtigen und misstrauischen Katze ein herrenloser Hund, ein schläfriges Wasserschwein, ein diebisches Äffchen sowie ein majestätischer, von seiner Gruppe verstoßener Sekretärvogel. Dieser lenkt souverän und mit Übersicht das schwankende Boot, das angesichts der Wassermassen wie eine kleine Nussschale wirkt, durch die gewaltigen Wellen. Ziellos treibt das Schiffchen durch die Fluten. Einmal rettet ein riesiger Walfisch die Katze vor dem Ertrinken. Ganz selbstverständlich und unaufdringlich verwebt Zilbalodis biblische und mythologische Motive mit seiner Parabel über eine tierische Odyssee. Als eine Art Roadmovie zu Wasser handelt diese schließlich vor allem vom solidarischen Zusammenhalt einer Gruppe, deren unterschiedliche Mitglieder auf einer Reise ins Ungewisse lernen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen, um als Freunde und jenseits von Egoismen ihre Rettung zu ermöglichen.

Flow
Lettland/Frankreich/Belgien 2024 - 84 min.
Regie: Gints Zilbalodis - Drehbuch: Gints Zilbalodis - Produktion: Matīss Kaža, Gints Zilbalodis, Ron Dyens - Bildgestaltung: Gints Zilbalodis - Montage: Gints Zilbalodis - Musik: Gints Zilbalodis - Verleih: MFA+ - FSK: ab 6 - Besetzung: -
Kinostart (D): 06.03.2025

DVD-Starttermin (D): 17.07.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt4772188/
Foto: © MFA+