Queer

(IT/USA 2024; Regie: Luca Guadagnino)

Sehnsucht nach Verschmelzung

Während die Kamera verstreut arrangierte Reiseutensilien und persönliche Dinge in den Blick nimmt, singt Sinéad O‘ Connor den Nirvana-Song „All Apologies“. Zigaretten, Bücher, leere Gläser, eine alte Schreibmaschine, Fixerbesteck und eine Pistole deuten auf den drogensüchtigen Schriftsteller William Lee (Daniel Craig). In Luca Guadagninos Film „Queer“, einer Adaption des gleichnamigen autobiographischen Romans von William S. Burroughs, verkörpert er das Alter Ego des legendären Beat-Schriftstellers. Zu Beginn der 1950er Jahre streift Lee, der wegen seiner einmal als Krankheit bezeichneten Sucht die Staaten verlassen musste, durch die Bars eines Vergnügungsviertels von Mexiko-Stadt. Im hellen Leinenanzug, mit Fedora und Pistolenhalfter pendelt er zwischen den Lokalen, mit hungrigen Augen immer auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer oder ein bisschen Liebe. Doch Lee hat wenig Glück; er wirkt deprimiert, enttäuscht und einsam. Er hadert mit seinem Alter und mit seiner homosexuellen Existenz: „Ich bin nicht queer, ich bin körperlos.“ Dabei ist sein physischer Auftritt sehr männlich. Er raucht unablässig und trinkt ziemlich viel; und in einem besseren Moment gelingt es ihm, einen jungen Mann abzuschleppen.

Etwas ändert sich, als er dem jungen Ex-Soldaten und Journalisten Eugene Allerton (Drew Starkey) begegnet. Luca Guadagnino inszeniert ihre Kontaktaufnahme in Zeitlupe und mit einem gedehnten, von Rockmusik begleiteten Blickwechsel, der symbolträchtig einen Hahnenkampf kreuzt. Überhaupt interessiert sich der italienische Regisseur mehr für eine dezidiert künstliche Atmosphäre aus schwüler, schweißtreibender Luft, goldenem Licht und warmen Farben als für Handlungslogik und Figurenpsychologie. Viel erfährt man nicht über die beiden. Ihre Vergangenheit und persönlichen Hintergründe werden ausgespart. Ihre Motive bleiben äußerlich und in der Inszenierung oft auch klischeehaft. Lee verliebt sich und wirkt dabei unsicher und ungeschickt, zumal Allerton ihre ambivalente Beziehung merkwürdig und vielleicht berechnend in der Schwebe hält. Ihren Höhepunkt erreicht Lees unerfüllte, vielleicht unstillbare Sehnsucht schließlich, als er, unter Entzugserscheinungen von einem heftigen Schüttelfrost gepackt, der körperlichen Nähe des Freundes bedarf.

Im zweiten des in drei Kapitel und einen Epilog gegliederten Films unternehmen die beiden auf der Suche nach der sagenumwobenen Droge Yagé einen Trip in den Regenwald. Lee erhofft sich von ihr telepathische Kräfte und vielleicht auch ein Antidot gegen seine Opiat-Sucht. Der Film selbst verlässt hier auf teils skurrile, teils rauschhaft Weise, in die auch Alpträume eingebunden sind, immer deutlicher die raum-zeitliche Ordnung. Einmal heißt es, die Droge wirke wie ein Spiegel, also als ein Mittel für eine – möglicherweise unangenehme – Selbsterkenntnis. Im Ayahuasca-Rausch sieht Lee, wie sein Körper, als wäre er eine leere Hülle, mit demjenigen Allertons verschmilzt. Für einen langen, magischen Moment scheint die Trennung aufgehoben und die ersehnte Einheit vollzogen. Doch was ihm im Drogenrausch gelingt, wird von der Wirklichkeit wieder aufgehoben.

Queer
Italien/USA 2024 - 135 min.
Regie: Luca Guadagnino - Drehbuch: Justin Kuritzkes - Produktion: Luca Guadagnino, Lorenzo Mieli - Bildgestaltung: Sayombhu Mukdeeprom - Montage: Marco Costa - Musik: Trent Reznor, Atticus Ross - Verleih: MUBI - FSK: ab 16 - Besetzung: Daniel Craig, Drew Starkey, Daan de Witt, Jason Schwartzman, Henrique Zaga, Colin Bates, David Lowery, Drew Droege, Leslie Manville, Lisandro Alonso
Kinostart (D): 02.01.2025

IMDB-Link: https://www.imdb.com/de/title/tt24176060/
Foto: © MUBI