Gerade probt der Dirigent Thibaut (Benjamin Lavernhe) mit seinem Orchester höchst spannungsvoll Beethovens „Egmont-Ouvertüre“ (zu Goethes gleichnamigem Trauerspiel), als er plötzlich einen Zusammenbruch erleidet. Mit der niederschmetternden, aber nicht hoffnungslosen Diagnose Leukämie begibt er sich kurz darauf in seiner Verwandtschaft auf die Suche nach einem Knochenmarkspender. Thibaut ist ein optimistischer, kämpferischer Typ mit einem gewissen Galgenhumor. Bei seinen Nachforschungen muss er allerdings feststellen, dass seine Schwester Rose biologisch nicht mit ihm verwandt ist und er als Kind adoptiert wurde. Schon in der nächsten Szene von Emmanuel Courcols sehr ökonomisch und ohne Abschweifung inszenierten Films „Die leisen und die großen Töne“ („En fanfare“) sitzt der kranke Dirigent in einem Wohnzimmer des nordfranzösischen Arbeiterstädtchens Walincourt, wo sein ebenfalls in einer Adoptivfamilie aufgewachsener leiblicher Bruder Jimmy (Pierre Lottin) lebt. Der wehrt Thibaut und sein Ansinnen erst einmal ab. Zu groß und schmerzlich sind die sozialen Unterschiede der auf den ersten Blick so ungleich wirkenden Brüder.
Emmanuel Courcols warmherziger, zwischen Sozialdrama und Komödie angesiedelter Film handelt in der Folge von einer behutsamen, von gegenseitigem Verständnis getragenen Annäherung der beiden Brüder, die, in Tourcoing geboren, im Kindesalter voneinander getrennt wurden. Als Bindeglied fungiert dabei die Musik. Denn Jimmy, der in einer Kantine arbeitet, ist nicht nur Jazzfan und spielt Posaune im ziemlich lebendig und fröhlich wirkenden örtlichen Musikverein der Bergleute, sondern er besitzt ein absolutes Gehör. Als die Blaskapelle mangels eines Dirigenten in Schwierigkeiten gerät und sich überdies der erbitterte Arbeitskampf am Ort, der sich gegen eine Fabrikschließung richtet, zuspitzt, beschließt Thibaut, seinem Bruder zu helfen. Während der eine dabei immer tiefer in sein Herkunftsmilieu eintaucht, gewinnt der andere unverhofft neues Selbstvertrauen und Stärke.
Der französische Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Courcol, der hierzulande mit seinem Gefängnisdrama „Ein Triumph“ bekannt wurde, fragt und verhandelt auch in seiner neuen Regiearbeit die sozialen Bedingungen von Identität. Ähnlich wie dies seine Landsleute Annie Ernaux und Edouard Louis in der Literatur tun, thematisiert er die Zufälle und schier unüberwindlichen Hindernisse sozialer Determination; er zeigt die Grenzen, die bleiben, macht sie auf leichte und humorvolle Weise aber immer wieder durchlässig. In diesen utopischen Momenten, die nicht auf vorhersehbare Lösungen zielen, sondern eher überraschend wirken, werden die die Musik, das gemeinsame Musizieren und das Erleben von Kunst zu ebenso tröstenden wie ermutigenden Verbindungsgliedern zwischen den unterschiedlichen Welten.