Leon ist das Kind, das in den Brunnen fällt, in dessen Wasser sich der Himmel spiegelt. Als Erwachsener (Blerim Destani) lebt der gebürtige Albaner in Frankfurt a. M. und geht kleinkriminellen Geschäften nach, indem er mit unlauteren Mitteln Mieter zwingt, ihre Wohnungen zu verlassen. In der knappen Exposition von Enkelejd Llucas Film „Das Meer ist der Himmel“ bleiben die Hintergründe und Zusammenhänge dieses Tuns aber unscharf. Dem albanisch-deutschen Regisseur geht es mehr um die milieuspezifische Charakterisierung einer Figur, die sich schweigsam und verstockt, misstrauisch und aggressiv gibt. Zu spüren bekommt das auch Leons Onkel Eri (Edon Rizvanolli), der ihn eines Morgens mit der Nachricht überfällt, dass sein Großvater Marian (Gëzim Rudi) im Sterben liege. Denn Leon hat seit Jahren den Kontakt zu seiner Familie und der früheren Heimat abgebrochen. Die Aufforderung, dem Großvater die letzte Ehre zu erweisen, wehrt er also zunächst ab. Dieser Unwille, sich auf andere einzulassen, kennzeichnet die Unsicherheit eines Charakters, dessen Entscheidungsschwäche wiederholt in stark gedehnten Szenen veranschaulicht wird.
Nach anfänglichem Zögern macht sich der arg reservierte Held also auf den Weg, gerät damit aber fast zwangsläufig in weitere Gewissensnöte. Zwar fügt er sich in die traditionelle Ordnung der Trauergesellschaft; doch als es darum geht, dass er beauftragt ist, den letzten Willen des Verstorbenen zu erfüllen und dessen Asche ins Meer zu streuen, nimmt er erst mal Reißaus. Nach einer Nacht unfreiwilliger Läuterung sitzt Leon dann in einem Land Rover und fährt über malerische Gebirgsstraßen in den äußersten Süden des Landes ans Meer. Unterwegs bilden sich durch verschiedene Begegnungen immer wieder unfreiwillige Schicksalsgemeinschaften. So begegnet Leon einem jungen Soldaten, der gerade Vater wird sowie einem unsterblich Verliebten, der bei einer Hochzeit die Braut entführt. Vor allem aber ist es die deutsche Fotojournalistin Zoe (Ariana Gansuh), die über ihre eigene Geschichte dem Außenseiter hilft, sich allmählich zu öffnen und sich seiner schmerzhaften Vergangenheit zu stellen.
Von Anfang an fügt Enkelejd Lluca in den Fluss der Erzählung mittels kurzer Flasbacks Erinnerungssplitter ein. Demnach ist der elternlose Leon hauptsächlich von seinem Großvater aufgezogen worden, was der Film in diversen Dingsymbolen spiegelt. Der Grund für diese Verlusterfahrung des Kindes bleibt aber lange im Dunkeln. Marian tröstet seinen Enkel mit der Geschichte, wonach seine Eltern im Meer verschwunden seien. Aber, so der Großvater: „Wasser und Himmel sind eins.“ In den scheinbar zufälligen Begegnungen, die Leons Reise zu sich selbst und ins Leben markieren und leiten und die letztlich das Geheimnis seiner verschwiegenen Geschichte enthüllen, spiegeln sich der Kreislauf des Lebens und familiäre Verbundenheit. Diese drückt sich aus in zwischenmenschlichem Zusammenhalt und der Verantwortung für den anderen. Enkelejds gefühlvolles, von tiefer Menschlichkeit getragenes Roadmovie, das die Geschichte einer Veränderung als Ankommen im eigenen Leben erzählt, führt schließlich in ein Kinderdorf und mündet in dem Satz: „Dort, wo du Freude findest, ist dein Ort. Und wo sie dich lieben, ist dein Zuhause.“