Unter globalisierten beziehungsweise multinationalen Produktionsbedingungen sind Filme heutzutage mitunter nicht mehr nur das Werk eines Produktionslandes. So bewarb sich in diesem Jahr Japan mit Wim Wenders‘ dort entstandenem Film „Perfect Days“ für den sogenannten „Auslandsoscar“. Für die kommende Oscar-Preisverleihung in nämlicher Kategorie „Bester internationaler Film“ ist nun wiederum Deutschland mit dem iranischen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ nominiert. Das hat vor allem damit zu tun, dass der vielfach preisgekrönte Film maßgeblich von der Hamburger Firma Run Way Pictures produziert wurde. Außerdem lebt sein Regisseur Mohammad Rasoulof, nachdem er kurz vor einer drohenden neuerlichen Inhaftierung sein Heimatland überstürzt verlassen musste, im Exil in Deutschland. Zuvor hatte er aber mit kleiner Crew und minimaler Ausstattung sowie unter besonders schwierigen und geheimen Bedingungen noch seinen politisch sehr aktuellen und brisanten Film drehen können. Dessen metaphorischer Titel spielt an auf das Wachstum der Pappelfeige, die sich entwickelt, indem sie ihren Wirtsbaum erstickt. Dieses Bild fungiert zugleich als Blaupause für das kämpferische Geschehen von Rasoulofs Film.
Dieser beginnt mit einer Beförderung im Zwielicht. Nach zwanzig Jahren wird der Familienvater Iman (Misagh Zareh) zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran ernannt. Seine treusorgende Frau Najmeh (Soheila Golestani) ist stolz, freut sich und hofft auf eine größere Wohnung für die Familie mit den beiden jugendlichen Töchtern, die sich noch ein Zimmer teilen. Doch die ersten Bilder verweisen auf eine Gefangenschaft. Die Mädchen sollen fortan ihre Lebensweise ändern, konsequent den Hidschab tragen und auf Posts in den sozialen Medien verzichten. Und schon bald erweist sich Imans beruflicher Aufstieg als äußerst zwiespältig. Denn auf Druck des Staatsanwalts soll er entgegen seiner juristischen Grundsätze Strafen verhängen, ohne hinreichende Aktenkenntnis zu haben. Kurz darauf, als nach dem durch Polizeigewalt verursachten Tod der jungen Jina Mahsa Amini, Massenproteste aufflammen, wird er gezwungen, Hinrichtungsbefehle im Schnellverfahren zu unterschreiben. Dabei gerät er zunehmend unter massiven inneren und äußeren Druck. Bald fühlt er sich selbst bedroht und nicht mehr sicher.
Im kammerspielartigen Setting des Films konzentriert sich Rasoulof aber zunächst auf die Innenperspektive der Familie. Während die traditionell eingestellte Mutter versucht, ihrem meist abwesenden, zunehmend erschöpften Mann den Rücken freizuhalten, solidarisieren sich die 21-jährige Rezvan (Masha Rostami) und ihre jüngere Schwester Sana (Setareh Maleki) mit den Protestierenden. Handy-Videos brutaler Polizeieinsätze, als Dokument in die Handlung eingefügt, stehen dabei im Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen im Fernsehen. Als eine Freundin Rezvans mit Schrotkugeln im Gesicht schwer verletzt wird und außerdem Imans Dienstwaffe auf mysteriöse Weise verschwindet, dringen die Konflikte immer mehr ins Innere der Familie und führen zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen. Misstrauen und Verhöre, offener Streit und Zwangsmaßnahmen sind die Folge.
Nicht immer ganz schlüssig, inszeniert Rasoulof diese Entwicklung als spannungsgeladenen Thriller in den Koordinaten von Freiheit und Gefangenschaft, Überwachung und Verfolgung. Andererseits überhöht er manche Szenen ins Symbolische, etwa den Vorgang einer stark stilisierten Wundversorgung oder die innerlich besänftigende Reinigung mit Wasser. Auch seine utopische Vision eines letztlich siegreichen Widerstands, der sich den gesellschaftlichen Labyrinthen entwindet, mündet in einem gewissen Pathos. Allerdings verwendet der politisch engagierte iranische Filmemacher diese markante Zeichensprache, weil er sich mit seinem Werk als Teil eines unausweichlich gewordenen Kampfes für Freiheit und gesellschaftliche Veränderung begreift.