Im ruhigen Gleitflug nähert sich die Kamera-Drohne kriegszerstörten Wohnblocks, filmt aufgerissene Fassaden, leere, gleichförmige Straßenzüge und verlassene Häuser als Abwesenheit des Lebens. Zugleich geht der Blick durch enge, graue Straßenschluchten und entdeckt in der Ferne eine beschädigte Kirche auf einem Fleck grüner Natur. Zivilisation und Natur, Altes und Neues, Tradition und Moderne bilden Gegensätze in Victor Kossakovskys neuem Film „Architecton“. Unterstrichen wird das noch von Evgueni Galperines Score, in dem helle, dramatische Trompetenklänge auf schweres, dunkles Streichergrollen treffen. Dieses Prinzip der rhythmisierten visuell-akustischen Erzählung, in der beeindruckende Bilder mit ausladender Geste auf eine suggestive, in diesem Fall wuchtige Musik treffen, erinnert entfernt an Godfrey Reggios hypnotischen Kultfilm „Kooyanisqatsi“, ohne dessen Differenzierungsgrad und emotionale Tiefe zu erreichen. Auch Kossakovsky geht es um Abstraktion und Allgemeingültigkeit. Meist aus der Distanz gefilmt und mit musikalischen Echoeffekten unterlegt, wiederholen sich die Panoramen der Zerstörung beim Blick auf die Schäden in einem Erdbebengebiet.
Die Gegenbewegung liefern die Nahansichten und Großaufnahmen eines Steinbruchs, wo durch Sprengungen riesige Geröll- und Steinlawinen ausgelöst werden. Mal fließen die Gesteinsmassen in Zeitlupe wie ein schwerer Strom, mal tanzen und hüpfen die Steine wie in einem Ballett auf Förderbändern zu ihrer Umwandlung in einen Baustoff. Dessen Kurzlebigkeit in Form von Beton, der möglicherweise schon nach wenigen Jahrzehnten zu Schutt und Staub zerfällt, ist eines der zentralen Themen des Films. Eng damit zusammen hängen die geologischen Transformationen, die im sogenannten Anthropozän von Menschen verursacht werden. Auf die Terrassen des Steinbruchs folgt im zeitlichen Abstand eine gewaltige Bauschuttdeponie, die Schneisen in die Natur schlägt und die Landschaft verändert.
Als Gegenmodell zu diesem Zerstörungswerk besichtigt Kossakovsky zusammen mit dem italienischen Architekten Michele De Lucchi die antiken Ruinen von Baalbek im Libanon. Hier stoßen sie auf übergroße, behauene Steine, die offensichtlich für die Ewigkeit verbaut wurden; oder zumindest für eine Zukunft, von der man noch eine Vorstellung hatte. Der Schönheit dieser Monumente steht die Wert- und Formlosigkeit heutiger, auf Funktionalität und Kurzlebigkeit ausgerichteten Architektur gegenüber. Das dadurch gestörte Gleichgewicht veranschaulichen in einigen kurzen Szenen fragile Steinskulpturen, die durch kleinste Erschütterungen in sich zusammenfallen, nachdem sie zuvor von einem Künstler geduldig aufgebaut worden waren. Als Ausdruck für den Kreislauf des Lebens und für den Respekt vor der Natur installiert De Lucchi unter Mithilfe von Arbeitern in seinem Garten schließlich einen magischen Steinkreis, der nicht betreten werden darf und der die Idee des Bewahrens symbolisiert. Überzeugt davon, dass Architektur das Verhalten der Menschen beeinflusst, fordert der De Lucchi einen Paradigmenwechsel, der die Einsicht in die Endlichkeit der Ressourcen mit der Notwendigkeit verbindet, eine neue Schönheit zu finden.